Der Maler und Poet Bruno Epple im Gespräch

Bruno Epple wird 1931 in Rielasingen geboren. Er wächst in Radolfzell auf, nach dem Abitur auf dem Konstanzer Suso-Gymnasium studiert er in Freiburg Philosophie, Deutsch, Geschichte und Französisch. Epple unterrichtet danach am Konstanzer Humboldt-Gymnasium, später dann bis zur Pension 1989 am Gymnasium in Radolfzell. Seit Begin der 50er Jahre ist Epple freiberuflich als Schriftsteller und Maler tätig. Seine naiven Bilder finden internationale Beachtung und werden auf der ganzen Welt ausgestellt. Epple publizierte zahlreiche Bücher, vor allem in alemannischer Mundart. Im Juni wird sein Theaterstück „Totentanz“ in Konstanz am Stadttheater aufgeführt. Der „dichtende Maler“, wie Epple sich selbst nennt, lebt mit seiner Frau Doris in Wangen am Bodensee.

Johannes Fröhlich: Herr Epple, sind die malender Poet oder dichtender Maler?

Bruno Epple: Inzwischen stellt sich heraus, ich bin beides.

Wie ergänzen sich die beiden Genres?

Bruno Epple: Die Leute finden, dass ich sehr bildhaft schreibe. Und dass ich Bilder male, die eigentlich zum bedichten sind.

Gehört eines zum anderen oder stehen die Gattungen getrennt?

Bruno Epple: Sie laufen getrennt. Ich verbinde sie selber nicht miteinander. Ich habe Phasen in denen ich male und Phasen in denen ich schreibe.

Was war zuerst da, Sie haben früh Tagebuch geschrieben…

Bruno Epple: Ja, mit meinem vierzehnten Lebensjahr, in dem Alter habe ich angefangen Gedichte zu schreiben, auf hochdeutsch natürlich. Das habe ich sehr intensiv betrieben. Ich hatte in der Schule nie Zeichenunterricht. Während des Krieges und nach dem Krieg gab es keine Zeichenlehrer. Aber ich hatte den Drang, nebenher für mich zeichnen.

Wie kamen Sie zur naiven Malerei?

Bruno Epple: Wenn man ungeschult ist und das Malen nicht erlernt hat, sondern aus einem inneren Drang heraus zu Malen anfängt, dann entsteht auch Kunst. Ich habe mir Farben und Pinsel gekauft und habe begonnen, auf Schuhschachteldeckeln zu malen. 1955 hat man noch nicht von naiver Malerei gesprochen. Den Begriff naiv hat es gegeben, aber im literarischen Sinn des Schillerschen Aufsatzes über naive und sentimentale Dichtung. Einige waren als Naive bekannt. Henri Rousseau oder aus den USA die Grandma Moses mit ihren sehr kindlichen Bildern.

Sie sind 1931 kurz vor dem Krieg geboren. Wie haben Sie als Kind diese Zeit erlebt?

Bruno Epple: Ich war kein Soldat, aber ich habe den Kriegsausbruch auch über die SS-Kaserne in Radolfzell mitbekommen. Das Kriegsgeschehen wurde im Schulunterricht behandelt. Jeden Tag wurden die Frontbericht gelesen. Auf einer Karte wurden die Frontlinien abgesteckt. Das hörte auf, als es zu sehr zum Rückzug kam.

Wie verhielten sich Ihre Eltern?

Bruno Epple: Alle Kinder, die aus guten katholischen Elternhäusern kamen und deren Eltern gegen die Nazis eingestellt waren, alle die Ministranten wurden, auch wenn sie von der Propaganda jeden Tag überschüttet wurden, alle waren immun. Die Propaganda war wie eine Ölhaut um uns. Je stärker die Propaganda, desto mehr hat man der Sache misstraut. Meine Eltern hatten diese Lügen erst recht nicht geglaubt. Ich durfte als Dreizehnjähriger jeden Tag mit meinem Vater die Schweizer Nachrichten hören. Das war streng verboten. 1945 waren wir oft schon morgens um sechs Uhr wach um die so genannten Feindsender zu hören. Wie waren informiert, wie weit die Alliierten schon in Deutschland waren. Immer mit dem Bewusstsein, hoffentlich nicht zu siegen, sonst wären wir dran gewesen.

Ihre Mutter hat Ihnen die Literatur näher gebracht…

Bruno Epple: Meine Mutter war sehr lesefreudig. Sie war die Tochter eines Lehrers, und sehr auf Bildung bedacht, sie hat uns Kinder mit gezogen, so dass wir große Leser wurden. Jede Woche hat jeder aus der Pfarrbücherei mindestens drei Bücher mit heim genommen. Bei uns gab es später auch kein Fernsehen oder Illustrierte…

Sie schreiben von einem „Haus voller Musik“…

Bruno Epple: Wir hatten einen Musiklehrer im Haus. Dessen Tochter hat sich auf die Musikerlaufbahn vorbereitet, jeden Tag sechs Stunden geübt, so konnte ich früh klassische Klaviermusik kennen lernen. Ich hatte auch Klavierstunden, aber irgendwann habe ich es aufgegeben, weil ich merkte, wie viel ich üben musste, ich habe nie das Improvisieren gelernt, das aus dem Kopf spielen. Ich hätte gerne Jazz gelernt.

1946/47 entstanden die ersten Gedichte. Von was handelten die?

Bruno Epple: Das waren jubelnde Frühlingsgedichte. Und auch kleine Liebesgedichte. All das, was mein Herz bewegt hat.

Waren Sie ein optimistischer Geist?

Bruno Epple: Immer. Ich hatte natürlich auch meine schwermütigen Phasen wie jeder Jugendliche. Ich habe den ganzen Herzenskram meinem Tagebuch anvertraut.

Als Methode der Verarbeitung?

Bruno Epple: Genau, darum brauchte ich später keinen Therapeuten.

Sie begannen hochdeutsch zu schreiben, wie kamen Sie zur Mundart?

Bruno Epple: Das war im Frühling 1955 in München. Dort habe ich Mittelhochdeutsch studiert. Die Sprache der Minnesänger, das Nibelungen-Lied. Darin fand ich vieles, was in unserer Mundart noch lebendig ist. Zum Beispiel „Huus“ oder „Wieb“. Angetan von diesem Mittelhochdeutschen habe ich mich meiner eigenen Mundart wieder erinnert. Ich fing an, kleine Gedichtlein zu schreiben. Ich entdeckte die lyrische Qualität der Mundart. Alemannisch hat lyrische Qualitäten. Mundart-Dichtung hatte ich noch nicht gekannt. Der lyrische Ton der Mundart hatte mich gepackt. Die lyrischen Gedichte sind nicht die, welche die Menschen zum Lachen bringen. Ich habe angefangen, irgendwann hatte der Südkurier das eine oder andere Gedicht gebracht. Dann wurde ich vom Süddeutschen Rundfunk entdeckt. Es kam die erste Rundfunk-Sendung über Mundart, ich habe mich geniert. Mundart in den Fünfzigern hieß, noch verstockt, konservativ in der Blut-und-Boden-Nazizeit zu sein. Das wurde mir vorgeworfen. Merkwürdigerweise wurden die Gedichte vom Rundfunk bestellt und gesendet. Jeden Monat eines, dann kam die Einladung zu einem Treffen in Stuttgart, Ich war in einen Bereich gekommen, den ich so gar nicht betreten wollte. Damals entstand der „Totentanz“.

Das Theaterstück “Totentanz” wird im kommenden Monat in Konstanz aufgeführt. Worum geht es?

Bruno Epple: Mein Konstanzer „Totentanz“ ist schon 1982 uraufgeführt worden durch den damaligen Konstanzer Intendanten Hans Amann. Der hatte die Idee, Autoren aus der Region anzusprechen, dass die Theaterstücke schreiben sollten, die am Theater uraufgeführt würden. Er kam auch zu mir und hat mich um ein Mundartstück gefragt. Ich hatte eine Idee. Ein Vorfall der wirklich passiert ist in einer kleinen Stadt. Ein tüchtiger Handwerksmeister, der aktiv ist in der Handwerkszunft wie in der Feuerwehr, kam eines Abends von der Feuerwehrprobe heim. Bei der Feuerwehr wird vor allem auch der Durst gelöscht. Der schwankende Feuerwehrmann geht schwankend die Treppe hoch und stolpert. Er fällt und bricht sich das Genick. Das ist die Geschichte. Amann war sofort einverstanden. Das Stück besteht aus einzelnen Bildern, aus dem Nebelgewölk des Gerüchts erscheint eine Persönlichkeit der besonderen Art. Der Schauspieler Frank Lettenewitsch hat sich der Sache angenommen, die Intendanz war einverstanden.Das Stück wird im Freien auf dem Münsterplatz aufgeführt.

Noch einmal zur Malerei. Gibt es jemanden, der bei Ihren Bildern Regie führt?

Bruno Epple: Ja es gibt eine Inspiration, über die ich aber nicht verfügen kann.

Meditieren Sie beim Malen?

Bruno Epple: Ja, Malen ist eine meditative Geschichte. Man hat eine Idee, ich bin gepackt von einer Vorstellung, die sich bei mir eingestellt hat, die ich nicht gesucht habe.

Also nicht nach Plan, sondern nach Intuition.…

Bruno Epple: Intuition ist der Anfang. Dann fange ich ungeniert an zu malen, dann erlebe ich Folgendes: Ich habe etwas vor, aber während des Malens diktiert einem das Bild selber, wie es heraus kommen will. Dazu muss man demütig genug seine, auf die innere Stimme zu hören, wie das Bild sein will. Insofern bin ich das Gegenteil eines Designers, der einen Auftrag ausführt.

Wie haben Sie Martin Walser kennen gelernt?

Bruno Epple: Beim Literatur-Forum Oberschwaben. Ich hatte mein Mundartbüchlein“ Reit Ritterle, reit“ vorgestellt. Walser war dabei, ich fand große Zustimmung. Die eigentliche Begegnung fand über Dino Larese statt. Dieser hatte als einfacher Lehrer Weltkultur nach Amriswil gebracht. Erlauchte Namen aus der europäischen Kulturgeschichte. Er hatte immer Leute zu sich gerufen, auch mich als Maler. Er wollte mich kennen lernen, eine Ausstellung und ein Buch machen. Das hatte er dann gemacht. Es ging noch darum, wer die Rede hält. Dürrenmatt oder Lothar Späth, er schlug Martin Walser vor: Larese rief Walser an, der sagte sofort Ja. Das war 1982. Walser hielt die Rede mit dem Titel „Der Epple-Effekt“.

Walser sagte, nach dem Malen sei mit den Figuren Schluss. Und: Der Betrachter schaut nicht das Bild an, sondern die Figuren schauten aus dem Bild heraus den Betrachter an….

Bruno Epple: Das ist wie beim Fotografieren. Die Figuren bleiben auch nach dem Malen so stehen.

Ist das Absicht?

Bruno Epple: Nein, das ergibt sich ohne dass ich darüber nach denke, das ist Stil, der aus dem ganz persönlichen kommt, das ist nicht von vorneherein fest gelegt.

Was bedeutet „raffinierte Unschuld“?

Bruno Epple: Darüber komme ich selbst nicht hinweg. Lange habe ich hören müssen, ich sei ein raffinierter Maler. Für mich war das schrecklich. Die Leute mögen das als Auszeichnung gesehen haben, ich würde sauber malen, voll der Raffinesse. Für mich hat das Wort einen verschlagenen Sinn so wie hinterhältig. Gegenüber dem was Unschuld ist. Diesen Schlenker von Walser muss ich ertragen.

Muss man sich im Alter die Neugier eines Kindes bewahren?

Bruno Epple: Ja, weil sie nicht zweckhaft schaut. Einfach in Freude hinschauen und beeindruckt sein, ohne zu reflektieren. Das geht mir immer wieder so. Dieser Neugier oder diesem Seitenblick verdanke ich vieles. Ich bin mit dem Auto unterwegs, plötzlich sehe ich etwas, was mich entzückt, Tage hinterher ist das Bild noch da und dann will ich es malen. Ich muss es aus der Einbildungskraft heraus malen. Darum liebe ich das Wort „Einbildung“.

Was bedeutet Ihnen das Christentum, beeinflusst es Ihre Arbeit?

Bruno Epple: Ja, Christentum im Sinne der Religiosität. Zu wissen, dass man nicht alles aus einem selbst macht, sondern dass man aus einem Beschenkt- oder Begnadetsein heraus lebt.

Sie sind letztes Jahr 75 geworden. Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?

Bruno Epple: Ich möchte gesund bleiben, und weiterhin malen und schreiben dürfen. Und mit meiner Frau zusammen sein, das ist das Wichtigste.

Herr Epple, vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Johannes Fröhlich