Zwei Gespräche mit Didi und Pepe Danquart von Johannes Fröhlich

Die aus Singen stammenden Zwillinge Didi und Pepe Danquart gehören zu den großen Regisseuren des Deutschen Films. Die 1955 geborenen Brüder gründeten 1978 die Freiburger Medienwerkstatt und sind mittlerweile neben ihrer Tätigkeit als Regisseure auch als Professoren an Hochschulen tätig. Pepe Danquart erhielt 1994 einen Oscar für seinen Kurzfilm „Schwarzfahrer“. Dazu kamen für die Brüder etliche andere nationale und internationale Auszeichnungen. Beide leben in Berlin, Didi ist der ältere der Beiden (20 Minuten), deswegen soll er hier als Erster zu Wort kommen.

Didi, bei aller nationalen und internationalen Bekanntheit, bei allen Auszeichnungen, haben Sie für das Filmemachen noch Vorbilder?

Didi Danquart: Ja, Vorbilder habe ich immer wieder. Zum Beispiel die Dardenne Brothers, das sind Belgier, die haben in Cannes schon eine Palme bekommen. Die machen ästhetische, ruhige Filme, die mehr in die Innerlichkeit gehen. Dann natürlich Pasolini nach wie vor, Ingmar Bergmann versuche ich mit einem neuen Drehbuch, das ich schreibe eine Hommage zu machen.

Bergmann ist ja sehr melancholisch….

Genau, das könnte man mir auch zuschreiben.

Sie spielen in „Offset“, einem Ihrer letzten Filme eine kurze Statistenrolle…

Ja, das ist so etwas wie ein alter Ego von mir. Ich rauche als frisch Operierter in der Szene, das ist mein Non-Konformismus.

Wer nicht trinkt und raucht ist langweilig, sagte Helmut Schmid….

Das stimmt in einer gewissen Weise. Ich gehöre in die Kategorie der Hedonisten. Genussmenschen sind immer auch offen, haben eine größere Freude am Leben. Takeshi Kitano aus Japan ist noch ein Vorbild.

Die Filme von Ihnen und Pepe haben vieles gemeinsam, auch wenn sie auf den ersten Blick völlig verschieden sind.

Das ist auch gut so, wobei bei Zwillingen die gegenseitige Abgrenzung auch immer eine Identitätsfindung ist. Deswegen sind unsere Filme äußerlich schon sehr auseinander.

Woher nehmen sie die Energie für das Filmen, woher die Ideen? Sie schreiben, produzieren, führen Regie. Woher kommt die Kraft?

Das kommt schon aus Singen (lacht). Kreativität ist ein Potenzial, das durch nicht eintauschbar ist. Es gibt keine Wiederholung. Wie bei kleinen Kindern… Im Theater wird dagegen jeden Abend die selbe Story gespielt….Ja, das ist auch der Schauspieler, der eher ein dienstleistender Künstler ist, während derjenige der das Stück inszeniert schon eine Sprache entwickelt, ein Bild. Diese Art, etwas Neues zu suchen, zu gestalten, das treibt an.

Pepe sprach auch von dem Glücksgefühl, wenn man einen Film beendet hat und das fertige Produkt sieht…

Ja, das bist dann nur du…

Ist das auch mit eine Motivation, diesen Beruf auszuüben?

Ja, um den Beruf auszuüben bedarf es einer guten Portion Narzissmus, eine Selbstliebe, mit der man zu tun hat. Da gibt es unterschiedliche Triebkräfte, wir als Zwillinge hatten es schwer, eine eigene Identität zu entwickeln. Film, Musik oder Malerei waren Hilfsmittel. Pepe und ich kamen zufällig in die Filmerei, in dem Bedürfnis nach eigener Identität. Wir sind schon als Kinder immer miteinander verglichen worden, das kann sehr nervig sein. Beide werden immer mit der Frage konfrontiert: was macht denn der Bruder? Daher rührt die Suche nach Identität. Ich will nicht immer nur die Hälfte vom Andern sein. Es entsteht eine Sehnsucht nach Originalität. Etwas tun, von dem du weißt, es ist die Verdinglichung deiner selbst. In der Reihe gesehen findet man wieder einen roten Faden.

Können Sie sich bei allem Stress noch Zeit dafür nehmen, Stoffe zu suchen, zu entwickeln?

Der Markt ist groß, es gibt viele Kollegen und Kolleginnen, ich sitze nicht da und überlege, was ich als Nächstes mache, oder warte darauf. Ich bin auch jemand, der Filme macht, die aus einem herauskommen. Vom Gefühl her muss ich einen Film machen.

Das verbindet Euch Brüder wieder. Pepe hat nach dem Oskar alle Angebote abgelehnt und war zwei Jahre lang in Bosnien. Das war ihm wichtig.

Der Arthaus-Film, der anspruchsvolle Kunstfilm ist kein einfacher Film. Er ist nicht einfach zu finanzieren, und die Stoffe dafür liegen nicht ständig auf der Straße. Man muss das mit sich selbst abgleichen, das bedeutet Suche, das bedeutet auf Stoffe stoßen. Natürlich bekomme ich Stoffe angeboten. Ich habe jetzt ein Filmdrehbuch geschrieben nach einem Roman von Judith Kuckart, „Lenas Liebe“, das ist eine populäre Autorin, eine der gefragtesten Deutschlands. Sie kam auf mich zu mit dem Buch und sagte, sie wünschte sich, dass ich daraus einen Film mache. Ich habe es gelesen und es hat mich überzeugt.

Sie sind unheimlich viel unterwegs gewesen und sind es noch. Lettland, Rumänien, Mittel- und Südamerika, Indien….Wo sind Sie Zuhause, sind Sie ein Vagabund?

Auch das teile ich mit Pepe. Wir sind Suchende. Ich denke viel über den Begriff der Heimat nach. Wir sind Schausteller, Künstler. Wir denken und fühlen anders. Die Heimat ist meine Sprache. Wenn ich mit meinem Papa rede, verfalle ich sofort in den Dialekt, und spüre, dass ich da zuhause bin. Im Alter denkt man über den Tod nach, ich möchte in Singen auf dem Waldfriedhof begraben sein. Dann wieder zurückkommen. Das andere Zuhause ist meine Berliner Wohnung. Ich wohne in Berlin-Mitte in einer Ladenwohnung. Die Wände dort sind voll mit dutzenden von Bildern, jedes einzelne Bild erzählt eine Geschichte aus meinem Leben. Ich lese unheimlich viel, habe eine große Bibliothek, den Sessel von meinem Großvater. Das ist meine Höhle mit den Dingen, die ich bin und jeder der mich besucht findet das sehr gemütlich. Das alles kann ich wieder überall hin mitnehmen. Das sind viele meiner eigenen Fotografien….

Viehjud Levi“ ist einer Ihrer bekanntesten Filme, er wurde auf der Berlinale ausgezeichnet, auch in Jerusalem prämiert. Um was geht es?

Es ist die Geschichte von einem Viehhändler der 1933 im Schwarzwald von Dorf zu Dorf geht, und Vieh verkauft, und mit einem Ingenieur aus Berlin kommt die neue Zeit in den Schwarzwald. Aus dem Viehhändler wird ein Viehjude, der am Schluss ausgegrenzt wird. Der Schluss ist offen, man weiß nicht ob und wie der Protagonist überleben wird. Den Film in Israel zu zeigen war für mich eine große Ehre und eine große Freude. Dass das angenommen wurde, dass ein Deutscher diese Geschichte erzählt, das machte mich sehr stolz.

Noch einmal dreißig Jahre zurück nach Freiburg. Wie haben Sie die Gründung der legendären Medienwerkstatt erlebt?

Ich wurde in Singen bei der Firma Widmann als technischer Zeichner ausgebildet, ging dann nach Berlin um das Abitur nachzuholen. Ich bin zwar älter als Pepe aber auch ein wenig der Spätzünder. Pepe hatte damals in Freiburg an der FH Diplompädagogik studiert und kam dort in Kontakt mit Video. Ich habe mich politisch sehr engagiert, viel gelesen, mich mit Fotografie und Siebdruck beschäftigt. Einen Buchverlag gegründet. Wir waren in gutem Kontakt und spürten, dass die Dinge und die Fäden wieder zusammen kamen. Pepe hat mir angeboten bei der Medienwerkstatt mit zu machen, ich habe spontan „Ja“ gesagt.

Haben Sie den politischen Anspruch von damals mit in das Heute transferiert?

Biografien verlaufen nie ganz geradlinig. Herbert Wehner wurde vom Anarchisten zum Sozialdemokraten. Willy Brandt, es gibt auch in der Kunst viele Beispiele… Was ich mitgenommen habe, ist die Empörung über soziale Ungerechtigkeiten.

Offset“ ist ein trauriger aber auch politischer Film…

Umbruchzeiten sind nie schöne Zeiten. Der Westen kann nicht einfach in den Osten gehen und den Wohlstand dorthin bringen. Dieser Widerspruch hat mich interessiert. „Offset“ ist ein Film über ganz verschiedene kulturelle Identitäten in Rumänien, das ist auch ein Film über Europa. Wir brauchen dringend Toleranz und Verständnis für einander. Auch Rücksicht den Menschen gegenüber. Verschiedene kulturelle Wurzeln müssen verstanden werden.

Wie war die Zusammenarbeit mit Alexandra Maria Lara?

Wunderbar, sie verkörpert den Europäischen Gedanken, sie stammt ja aus Rumänien. Die Rückkehr zusammen mit dem Papa in das Heimatland war für sie unheimlich beglückend.

Sie haben Thomas Bernhard am Theater inszeniert. Wie kommen Sie zu dem Autor?

Die Theater-Regie gehört zu meiner Biografie dazu. Auch die Drehbucharbeit. Manchmal denke ich, ich bin eine Multitask-Waffe. Du bringst ein Stück auf die Bühne und das ist ein Teil von Dir. Ich habe einen Film über den armenischen Genozid gemacht, einen Film über einen palästinensischen Brüderkonflikt, solche Themen faszinieren, es geht um Verständigung, um Gerechtigkeit, um Emanzipation. Im Alter kommt ein gewisser Konservatismus, eine Verständigung, der Sturm und Drang geht in eine erfahrene Betrachtungsweise über. Der Inhalt ist immer noch der gleiche…

Das vermitteln Sie auch Ihren Schülern?

Das ist die Seele meiner Lehre. Ich habe nach sechs Jahren Lehrens einen Break gemacht, weil ich wieder Filme machen wollte. Ich habe lange weltweit für das Goethe-Institut gearbeitet. Es gibt Anfragen für eine neue Professur in Berlin und in Köln. Ich möchte schon die Seele des Künstlers finden. Nicht die Äußerlichkeiten. Wie kann man das erfahrene Leben und das, was man denkt ausdrücken? Das muss man in sich selber finden. Hat man das, ist das Handwerk schnell passiert. Der rote Faden in meinem Werk ist schon die Aufarbeitung des Faschismus.

Stoßen sie bei Ihrer Arbeit auf Widerstand?

Immer wieder. Kunst ist nicht immer bequem. Die beste Kunst wirft immer zwei Seiten auf. Darüber entstehen der Diskurs und Nachdenklichkeit.

Welches Buch würden Sie gerne verfilmen?

Gustav Regler hat ein Buch über die badische Revolution geschrieben. Gerne würde ich die „Legende des heiligen Trinkers“ von Joseph Roth verfilmen, er ist mein Lieblingsromancier. „Das große Heft“ von Agota Kristof reizt mich auch, das ist eine Geschichte über Zwillinge.

Mit welchen Schauspielern würden Sie gerne noch arbeiten?

Mit Ulrich Tukur, und mit Alexandra Maria Lara.

Der Begriff „Ästhetik“…..

Das Buch „Die Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiß hat mich fasziniert. Danach kommt Kunst immer durch Reibung zustande. Wie wirken äußerliche Lebenswirklichkeiten auf den Künstler….Ästhetik muss nicht schön sein, sie ist die Verdinglichung der Seele. Ein Sichtbar-Machen.

Kritik ist….

Etwas sehr Notwendiges, etwas Sehbares weiterführen…..

Didi, danke für das Gespräch


Ästhetik muss nicht schön sein“.

Pepe, können Sie sich noch an die ersten Videos erinnern, die Sie mit achtzehn Jahren gedreht haben?

Pepe Danquart: Als Kind habe ich viel gemalt, ich war gut in Sport und Kunst. Ich habe in der Schulband gespielt, gleichzeitig angefangen, mit einem Kumpel Super 8 Filme zu drehen. Als ich in den 1970ern nach Freiburg kam, waren wir die allerersten, die mit Video gearbeitet hatten. Wir haben für das Equipment ein irres Geld ausgegeben. So waren wir die ersten Video-Pioniere.

Was waren die Inhalte der Filme?

Das waren richtige, lange Filme. Wir arbeiteten in einem Filmemacher-Kollektiv, der Freiburger Medienwerkstatt. Da war auch mein Bruder Didi dabei. Wir haben uns dem Medium politisch genähert. Die Anti-AKW-Bewegung, die GRÜNEN-Bewegung, der Punk kam, die Jugendrevolte. Wir haben das Medium politisch gebraucht. Gegen das Kernkraftwerk Wil, wir haben auch internationale Filme gemacht.

War der Berufswunsch Regisseur schon fix?

Für mich war klar, dass ich mein ganzes Leben mit dem verbringen würde, wo ich mein Talent entdeckt hatte, nämlich mich mit Bildern auszudrücken.

Wie haben Sie die Stadt Freiburg empfunden aus der Kleinstadt Singen kommend?

Das war wie ein Sprung in eine Großstadt. Nachdem ich mich heute in Städten wie Tokyo oder New York rum treibe und Berlin mein Lebensmittelpunkt ist, hat sich das etwas relativiert. Aber die Zeit der Studentenjahre war schon aufregend. Ich studierte Kunst und Kommunikationswissenschaften. Die Medienwerkstatt war der

Anfang, seither habe ich nie mehr etwas anderes gemacht.

Die Filme waren schon politisch?

Natürlich. Es waren politische Dokumentarfilme. Es gab eine so genannte „Gegenöffentlichkeit“. Den etablierten Meinungen das Wort und das Bild der Straße entgegen zu setzen. Unzensierte, subjektive Ausdrücke. Es entstand eine neue Ästhetik. Wir wurden schnell berühmt in der Szene, wir haben den dokumentarischen Zugang zur Wirklichkeit neu erfunden.

Wie habt Ihr Euch finanziert?

Wir waren eine Kommune. Jeder hat gegeben, was er konnte. Bafög, Kneipenjobs, etc.

Was wurde aus den anderen von damals?

Miriam Quinte ist meine Frau geworden, sie produziert meine Filme, einer ist Cutter, eine Professorin geworden.

Haben Sie damals Häuser besetzt?

Ja, habe ich. Die damalige Jugendbewegung war auch eine geistige und kulturelle. Hausbesetzungen gehörten dazu. Es gab einen Kampf um billigen Wohnraum. In der Kunst wurde nach anderen Ausdrucksformen gesucht.

Gab es in der Medienwerkstatt schon feste Rollenverteilungen?

Es war ein egalitäres Alles. Learning by doing war meine Filmschule. Jeder hatte alles gelernt. Später wurde an der Filmhochschule unterrichtet. Wir hatten mit der Technik auch ästhetische Maßstäbe gesetzt. Ich habe seit einem Jahr zusammen mit Wim Wenders eine Professur in Hamburg. Auch als Lehrer lernst du eine Menge. Lehren und Lernen waren immer ein Gleiches.

Gibt es für einen Filmemacher was Größeres als den Oscar?

Es ist schon das Größte. Ich war dort nicht mit der Erwartung, dass ich das Ding gewinnen werde. Nur nominiert zu sein ist eine sehr große Auszeichnung. Dann der Moment „The Winner is…“.

Stimmt es, dass Sie Sich einen Smoking leihen wollten?

Ja, aber die Leihgebühren waren so hoch, dass ich mir den Smoking dann doch gekauft habe.

Wie war Hollywood mit dem ganzen Rummel?

Das war alles komplett neu. Aber für mich war schnell klar, dass Hollywood nicht die Arbeitsgrundlage ist, die ich brauche. Ich hatte Angebote, in den Staaten Filme zu machen, aber ich habe meine internationalen Filme in Europa gedreht. Auch mit Hollywood-Stars besetzt. Ich verstehe mich stark als ein Autorenfilmer. Ich will kein Rädchen in einem industriellen Produkt sein.

Wer wollte Sie ködern?

Universal, Warner Brothers, eine Menge deutscher Produzenten haben angefragt. Ich habe dann etwas ganz Verrücktes gemacht und habe zwei Jahre lang im Bosnien-Krieg einen Dokumentarfilm gedreht. Ich konnte den Glamour nicht ertragen. Das widersprach meiner Daseins-Form. Der Leiter von Arte hatte mich gefragt, ob ich ein Portrait der Stadt Mosta machen möchte. Der Film „Nach Saison“ ist dort entstanden, ein Werk über eine komplett zerstörte Stadt, es gab nichts zu Essen und zu Trinken, auf der anderen Seite des Flusses war alles da. Eine zweigeteilte Stadt wie Beirut. Es gab noch nicht einmal Wasser. Ich habe zwei Jahre lang Menschen begleitet, denen alles genommen wurde.

Den alltäglichen Wahnsinn portraitiert.…

Genau. Der Film war sehr erfolgreich, er lief auf der ganzen Welt, ist oft prämiert worden.

Sie schwimmen schon gegen dem Mainstream?

Ich habe eine eigene Form entwickelt, den Arthaus-Film. Der ist nicht auf die Kinokasse angelegt, sondern er hat einen ganz speziellen künstlerischen Ausdruck. Der Film entsteht als Kunst-, nicht als Industrieprodukt. Arthaus hat die Kunst stärker im Auge. Kunst sucht sich ihren eigenen Weg, sie kann rebellisch sein. Was wäre der Mensch ohne Kunst? Ich möchte Kunst den Menschen zugänglich machen.

Wie kommen Sie dazu, Sportfilme zu drehen?

Diese Filme sind auch politisch. Jedes Private, das öffentlich gemacht wird, ist politisch. „Heimspiel“ mit dem Ost-West-Konflikt ist politisch. „Höllentour“ war der Film über Freundschaft und Leiden, „Am Limit“ war ein Film über Brüder.

Was reizt Sie an dem Begriff Leiden?

Das ganze Leben wechselt zwischen Euphorie und Depression. Becket sagt, man wird tot geboren und überlebt, indem man sich physisch bemerkbar macht.

Ihre Sportfilme sind keine bloßen Dokumentarstreifen, es sind im Grunde genommen Spielfilme: Wie wird so etwas konzipiert?

Ich mache ja auch große Spielfilme. Die Dramaturgie und die Möglichkeiten eines Spielfilmes auf einen Dokumentarfilm zu übertragen, ist so wie die dokumentarischen Erfahrungen auf die Arbeit mit Schauspielern. Es stützt sich beides. Ich schreibe ein Dialogbuch, dem ich folge, das ist aber offen angelegt, damit ich immer reagieren kann.

Ist Filmemachen für Sie ein Lebensgefühl?

Ja klar, absolut, das ist für mich ein existenzielles Dasein. Ich wandle den Spruch um: Ich filme, also lebe ich.

Filmemachen als Leidenschaft?

Ja, das ist ein obsessives Dasein. Ich begreife meine Arbeit nicht als Arbeit, sondern als Dasein in der Welt. Ich hatte Glück durch Erfolge und Talent ein Stück nach vorne zu kommen. Ich verstehe mich in dieser Welt übers Filmemachen. Mein Lebe ist nicht eingeteilt in Arbeit, Freizeit oder Urlaub. Ich versuche mich in der Welt mit den Filmen zu begreifen.

Sie können immer noch staunen….

Ich mache Filme bis zum letzten Seufzer.

Gibt es bei all Ihrer Berühmtheit noch Vorbilder?

Am meisten hat mich John Cassavetes beeinflusst. Die ganzen Independent Amerikaner. Ingmar Bergmann, Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder, frühere Kollegen wie Sergej Eisenstein.

Sind Filme eines Michael Moore ein Thema?

Wir haben in den 1970er Jahren nichts anderes gemacht. Das waren filmische Pamphlete, die sich politisch einmischten. Meine frühen Filme sind vergleichbar mit den Arbeiten von Michael Moore.

Wie ist der gemeinsame Werdegang der beiden Danquart-Brüder?

Zuerst war ich in Freiburg und Didi in Berlin. Dann kam Didi zur Medienwerkstatt.

Würde Sie ein Film über die Klitschko-Brüder reizen?

Sportfilme möchte ich keine mehr machen, sonst rutsche ich in die Kategorie des Sportfilmers ab.

Gehen Sie beim Filmemachen an so etwas wie ein persönliches Limit?

Immer. Meine Filme sind immer an die Grenzen des Möglichen gegangen. Bilder kreieren, die es gar nicht gab. Manchmal auch mit Scheitern verbunden. Gewinner interessieren mich nicht. Was Menschen an ihre Grenzen bringt, und wie die Menschen daran auch wachsen, das ist spannend. Die Grenzen gibt es oft im eigenen Kopf. Dort wo man Grenzen vermutet geht es immer irgendwie weiter. Das Schaffen eines Filmes kann wie die Erstbesteigung eines großen Berges sein.

Sie haben eine Professur in Hamburg…

Wim Wenders hat mich gefragt. An der Schule wird Malerei, Bildhauerei, Design und eben auch Film unterrichtet. Seit April dieses Jahres betreue ich dort eine Meisterklasse.

Welches Buch würden Sie gerne verfilmen?

Ich habe grade die Filmrechte gekauft für das Buch „Lauf Junge, lauf“ von Uri Orlev. Das beschreibt die Situation eines achtjährigen Jungen, der 1942 aus dem Warschauer Ghetto geflohen ist. Er überlebt.

Diesen Film produzieren Sie auch?

Ja mit meiner Agentur „Bitter-Süß-Productions“.

Mit welchen Schauspielern würden Sie gerne arbeiten?

Mit John Malkovich zum Beispiel.

Ihre Definition von Ästhetik?

Wenn man in der Kunst, im Film in eine Ästhetik findet, die Gefühle, das Dasein und vielleicht eine Wahrheit transparent macht; es muss auch eine Brechung, ein wenig Schmutz spürbar sein.

…. Es muss nicht glimmern und glänzen….

Genau.

Wer sind Sie wirklich?

Träumer, Visionär und Melancholiker.

Ein Wunsch?

Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute sich der Kunstgattung Film nähern und den Niederungen der deutschen Unterhaltungsindustrie entfliehen.

Pepe, vielen Dank für das Gespräch