Ein Gespräch mit Prof Klaus Schuhmacher.
Von Johannes Fröhlich
Prof Dr Klaus Schuhmacher wurde 1948 in Singen geboren. Nach dem Abitur studierte er in Freiburg Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Nach dem Referendariat in Tübingen promovierte er und war als Privatdozent tätig. Seit 1993 lehrt Prof Schuhmacher in Dresden als Professor. Er lebt mit seiner Frau Beate Sehnke in Wangen auf der Höri.
Frage: Herr Prof Schuhmacher, auch wenn Sie in Dresden lehren, Ihr Lebensmittelpunkt ist schon die Höri?
Prof Schuhmacher: Ich habe zu Wangen eine besondere Beziehung, das hängt auch mit der jüdischen Vergangenheit zusammen. Meine Frau hat jüdische Wurzeln. In der Bibliothek des Gymnasiums gab es eine Ausgabe der „Deutsch-Jüdischen Geistesgeschichte“ von Thilo Koch. Das war eines meiner Jugendbücher. Es hat mich fasziniert als Schüler. Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Judentum hat eine exklusive Beziehung zum Text. Ein Buchstabe im jüdischen Alphabet hat nach der Kabbala 37 Bedeutungen. Als Literaturwissenschaftler muss man 5 bis 6 Dimensionen eines Textes erkennen. Das Judentum ist Gesetz, keine Religion. Ein sehr rigides Gesetz.
Wie sind Ihre Verbindungen zu Künstlern auf der Höri?
Da ist zum einen Tom Leonhard, der mein Nachbar ist, ansonsten sind die Beziehungen nicht sehr intensiv. Ich bin in keiner Szene hier. Vieles geht über meine Frau. Wenn in Singen Ausstellungen sind, bin ich immer dort. Mein Bezugspunkt ist nach wie vor Singen, ich hänge an der Stadt. Singen ist mehr als das, was man gemeinhin von der Stadt sieht. Die Fußgängerzone ist für mich ein fragwürdiger Begegnungsraum. Der Hauserbrunnen passt und ist ein starker Fixpunkt. 1984 habe ich eine Rede für Hauser gehalten. Er hatte eine Form der klassischen Modernität. Oder das frühere Hohentwiel-Kino an der Sonne zieht mich noch an, oder der Stadtgarten.
Über welche Brücke kommt man zur Kunst?
Ich habe 1965 in Freiburg eine Dame kennen gelernt, die hatte mich in ein Museum mitgenommen. Die Art wie ich über die Bilder gesprochen habe hatte sie fasziniert. Sie sagte mir, ich müsse Kunstgeschichte studieren. Ich war beeinflusst vom Kunsterzieher Otto Jensch und Erika Kiefer. Jensch war fanatischer Zeichner Erika Kiefer war eine Informelle. Die beiden haben mich geprägt. Im Elternhaus hingen Bilder. Mein Vater war Kaufmann. Ich habe sehr viel gezeichnet, man hat mir immer Zeichenblöcke geschenkt. Schon als Kind wurde ich gefördert. In der Familie gibt es keine Kunsthistoriker.
Was muss der Kunsthistoriker lernen?
Es ist zuerst eine Schule des Sehens, nicht des Interpretierens. Die Wissenschaft ist sehr nüchtern, nicht empathisch. Ich habe auch noch Germanistik studiert. Zuerst wollte ich zur Architektur. Ich habe in Freiburg Seminare über Häuserfronten besucht. Ein Dozent war Spezialist in der Architektur der Zisterzienser. Das ist die faszinierendste Architektur überhaupt. Völlige Geometrie, aufgelöst bleiben Kuben und Kreise. Vollkommen bildlos. Der andere Schwerpunkt war die Ornamentik. Das kam auch meiner Affinität zum Abstrakten nahe. Mein Kunstgeschichtsstudium war fast eine Ausblendung von Bildern, das mag paradox klingen. Ich hatte keine epochalen Präferenzen.
Inwiefern sind Sie von Ihrer Frau beeinflusst?
Das ist ein Geben und Nehmen. Meine Frau hat mich vom Malen abgebracht. Als ich sie kennen lernte sagte sie zum mir, ich solle beim Zeichnen bleiben und das Malen sein lassen. Inzwischen sehe ich ein, dass es da Grenzen gibt. Ich habe durch meine Frau intensiv das Sehen gelernt. Vor langen Jahren habe ich in den Uffizien meine Frau beim Sehen gesehen. Gerade wie sie auf Details geschaut hat. Schauen, wie eine Hand gemalt wird oder eine Falte, wie Haare gemalt werden. Diesen Blick verdanke ich meiner Frau. Das lernt man nicht im Studium. Wir hatten in den 50ern eine Flucht aus der Geschichte, man wollte keine Inhalte mehr haben, sondern die reine Farbe. Natürlich transportiert Kunst Inhalte. Aber man kann Inhalte virtuos oder dilettantisch transportieren. Die Botschaft bleibt die selbe aber die Wirkung ist eine andere. Das Handwerk führt einen bis zu einer gewissen Grenze. Dann beginnt der magische Bezirk, den man auch noch erklären kann. Zunächst ist es ein Umschreiben. Was passiert da? Kann man hinter einer Farbe Unterfarben feststellen, ein Geheimnis? Bei Enzensbergers „Untergang der Titanic“ gibt es vier Gedichte, die man als Galeriegedichte bezeichnen kann. Der Maler malt in einer Auftragsarbeit unten in die Ecke eines Bildes eine Schildkröte. Eine virtuose, aber der Auftraggeber mag sie nicht, also wird sie übermalt. Oder die Novelle von Balzac, „Das unbekannte Meisterwerk“. Ein Maler arbeitet Jahre an einem perfekten Bild, übermalt ständig. Als er stirbt durchsucht man sein Atelier, dort taucht dann das Bild wieder auf. Also: Sehen kann man lernen, aber es ist ein langer Prozess. Das sind die Freuden beim Besuch einer Ausstellung. Oft ist die Abwehrhaltung eines ersten Eindrucks das Fruchtbare. Es gibt einen Magnetismus, der einen zu einem Bild hinzieht. Das ist dann der Schlüssel. Bilder können mit einem kleinen Detail einen Zugang schaffen. Man muss für jedes Bild die winzige Eingangspforte finden. Man muss durch ein Bild hindurchschauen können. Wenn man das schafft, ist es ein Glücksfall. Ich kenne ein bisschen was aus der Werkstatt. Ich weiß, dass Bilder spontan oder im jahrelangen Prozess entstehen können. Dann bekommt ein Bild ein Geheimnis. Große Künstler sind große Zerstörer. Sie müssen immer auch demontierend an ihr Werk gehen. Die Frage lautet: Ist ein Bild erregend um ein Geheimnis gemalt.
Wie ist Ihre Verbindung zum Singener Kunstverein?
Ich bin langjähriges Mitglied. Früher habe ich immer wieder Vernissagen eröffnet. Das werde ich auch in drei Jahren wieder tun. Der Kunstverein Singen hat eine Rolle gespielt, die vielleicht etwas blasser geworden ist. Die Kunstszene in Singen hat sich lange durch OB Theopont Diez und Herbert Berner definiert. Die Atmosphäre war kunstenthusiasmiert. Das ist heute durch vieles überlagert. Der Kunstverein hatte durchaus die Affinität zur modernen Kunst. Das war vor allem Walter Herzger. 1976 habe ich in Hilzingen bei einer Herzger-Retrospektive die Einführungsrede gehalten und Herzger besucht. Er war ein Monument, einer der letzten Schüler von Paul Klee, hatte in Weimar und Dessau studiert. Herzger hatte mit erklärt, wie Klee seine Schüler das Sehen gelernt hatte. Auch über alte Meister. Herzger kam auch von der Architektur, er fühlte sich einsam und verkannt. Weitere Begegnungen waren mit Emil Kies oder auch Kurt Höfler. Der hatte auf dem Bau gearbeitet, war genuiner Autodidakt. Er zeigte mir eine Mauer mit Pflanzen und etwas Schnee drauf und sagte: „Das ist ein Bild“. Ich war gerne in Ateliers zu Gast.
Hatten sie Kontakt zu Emil Wachter?
Ja, wir sprachen miteinander, ich habe seine Kugelschreiber-Zeichnungen bewundert. Mit Kugelschreiber kann man nicht schummeln.
Wie bringt man Kunst an die Menschen, gibt es ein Rezept?
Eine Möglichkeit sind die großen Museen. Ich würde das nicht unter einem elitären Aspekt sehen. Wir leben in einer Bilder-übersättigten Zeit. Ich bin eher für eine Reduktion von Bildern. Für das Überspringen der Hürde gibt es kein Patentrezept. Eine Möglichkeit ist die frühe Förderung in der Schule. Die Fächer Zeichnen und Musik sind wichtig. Sehen lernen fängt früh an. Auch Blumen Pressen in der Biologie ist eine Schule des Sehens.
Was muss, was kann Kunst leisten?
Eine Verzögerung des Sehens. Es muss Momente des Innehaltens geben. Patentrezepte gibt es keine. Wichtig ist das Verliebtsein ins Detail. Das setzt ein Askese-Training voraus. In meiner Wohnung in Dresden habe ich einen Raum mit nur weißen Wänden, ein kleines Bild von meiner Frau. Es gilt die Imaginationsfähigkeit zu schulen. Nehmen wir die Bilder des Spanischen Malers Zurbaran. Von ihm habe ich ein religiöses Bild gesehen, aufgebaut auf den drei Farben Rot, Schwarz und Weiß. Plötzlich versank alle barocke Pracht, das war wieder das Geheimnis der Malerei. Eine Gefahr heute ist das Verkommen des Malens zur Dekoration oder die Nähe zum Design.
Wer sind für Sie die großen Maler der Zeit, wen muss man gesehen haben?
Einer der großen Fixsterne ist für mich Werner Tübke. Das war der Begründer der Leipziger Schule. Er war Fixpunkt der Hochschule für Buchkunst. Tübke ist kein Abstrakter, er malt rein figuran in der Tradition der Früh-Renaissance. Der Kontrapunkt ist die monochrome Malerei des Mark Rothko mit vibrierenden Rändern, viele Übermalungen mit Schichten. Faszinierend unter den Zeitgenössischen ist Emil Kies, der immer abstrakter wurde. Er ist virtuoser Figuralist, malt aber abstrakt. Das sind auf die Leinwand gebannte Farbreflexionen.
Kunst und Provinz, wie funktioniert das?
Man muss der Öffentlichkeit ins Bewusstsein rufen, dass Singen in den 60er Jahren durchaus ein Magnet war. Man kann sagen, das war eine Drehscheibe zwischen Stuttgart und Zürich. In Deutschland gab es durch die vielen Residenzen nur Provinz. Provinz ist immer eine Chance,weil es nicht so viel gibt wie in der Großstadt. Die Großstadt ist oft Kunst übersättigt. In Dresden oder Berlin gibt es jeden Tag ein Angebot. Braucht Berlin drei Opern? Wir haben seit den 80ern einen Museumsboom. Ich sehe das ambivalent. Für das Sehen ist das Hyper-Angebot nicht gerade hilfreich. Eine gut arrangierte Kunst-Provinz ist eine der letzten Chancen, gut sehen zu lernen. Die ideale Provinz wäre die Landschaft mit Pausen, so wie in der Musik. Eine Kunstausstellung, die nur einmal im Jahr stattfindet, soll das Warten fördern, was der Künstler wieder gemalt hat. Dann kann Kunst wieder zu einem Fest werden. Übrigens mit bescheidendsten Etats.
Was sind die Horizonte, wohin geht die Reise?
Wenn ich das wüsste…. Es ist alles möglich. Wir können Epochen herbei zitieren auf Knopfdruck, wir erleben immer simultanere Welten.