Leopold Huber wird 1955 im Mühlviertel, Oberösterreich geboren. Matura an der Textilschule in Wien, danach einige Semester Psychologie. Schauspieler-Ausbildung am Max Reinhard Seminar in Wien. Seit 1981 freier Autor, Theater- und Filmregisseur. Leopold Huber ist mit der Schauspielerin Astrid Keller verheiratet. Die beiden haben zusammen 3 Kinder

Herr Huber, Sie sind in einem kulturellen Niemandsland groß geworden. In ihrer ursprünglichen Heimat Lembach, einem kleinen Dorf am Dreiländereck Bayern, Österreich, Tschechien. Wie kommt man dort auf die Idee, dass man Theaterregisseur werden will?

Die einzige Kulturleistung, die meine Vorfahren hervorgebracht haben, ist die Erzählkunst. Ein Mann hat dort ein hohes Ansehen, wenn er im Wirtshaus sitzt und einen Tisch unterhalten kann. Wenn er spannend erzählen kann, wenn er witzig ist. Das ist ein bisschen wie bei den Iren. Als Kinder sind wir dort gesessen und mein Vater hat nächtelang mit dem Nachbar geredet, über den Weltuntergang und den Herrgott und so weiter. So haben wir diese Erzählungen mitbekommen. Dazu kommt die Musik. Mein Vater war ein begnadeter Zieharmonika-Spieler…

Haben sie zusammen musiziert?

… ja viel, ich war damals erst neun Jahre alt. Ich spielte Klarinette. Ich hatte nie Unterricht. Ich habe dem Vater einfach zugehört und habe mitgespielt. Wir sind bei allen möglichen Veranstaltungen aufgetreten. Der Huber und sein Buab.- Das waren die beiden Dinge. Erzählen und Musik.

Sie haben 7 Geschwister?

… ja, mit mir sind es acht. Die Nachbarn hatten zum Teil noch mehr Kinder, das war nichts Besonderes. Für mich war kein Platz, das hat mich sehr geärgert. Es war von vorneherein klar, dass man mich zu nichts gebrauchen konnte. Ich wollte es damals allen zeigen und Ingenieur werden. Ich habe den Anzug meines Bruders angezogen und bin mit dem Zug nach Wien gefahren. Dort hat mich ein freundlicher Herr an der Hand genommen und mich auf die Textilschule gebracht. Ich machte die Aufnahmeprüfung und man hatte Mitleid mit mir.

Haben Sie die Prüfung bestanden?

Nein, aber sie haben mich trotzdem genommen.

Aber dafür schafften Sie die Aufnahmeprüfung am Max Reinhard Seminar?

Ja, aber erst noch zur Textilschule. Man hatte mich gebeten, erst einmal zu bleiben. Drei Monate lang hatte ich dieses Internat nicht verlassen. Ich hab mich hingesetzt und gelernt. Dabei hatte ich das erste Mal überhaupt Bücher gesehen. Zuhause gab es nur eine alte abgegriffene Bibel. Ich habe Camus gelesen. Das war natürlich Gift für einen Pubertierenden …

… Camus, Marx und Lenin?

Lacht , Ja natürlich …

Haben Sie die Literatur damals schon verstanden oder haben Sie sie einfach auf sich wirken lassen?

Ich glaube, ich habe „Den Mensch in der Revolte“ von Camus nicht wirklich verstanden. Auch den Beckett nicht. Aber es hat mich fasziniert.

Ist das Verstehen vielleicht gar nicht notwendig?

Vielleicht nicht. Aber es spricht irgendwelche Verbindungen an. Das war eine völlig neue Welt für mich.

Als Sie vom Land in die Stadt gingen, war das auch eine mentale Emigration. Wie ging das Lösen von der Dorfgemeinschaft von statten?

Als ich nach Wien gekommen bin, kam ich gleich in intellektuelle Kreise. Ich habe auf der Volkshochschule Philosophische Kurse besucht …

… und gekifft?

lacht… Meine Mutter hat nur geweint, als ich gegangen bin. Zwei Dinge hat sie mir mit auf den Weg gegeben: Brav in die Kirche gehen und kein Hasch rauchen. Auf den Kursen haben die Teilnehmer dann über mich gesagt, ich würde reden wie Franz-Josef Strauß. Ich hatte ein Weltbild, das extrem konservativ war.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Heimsuchung“, Sie seien „Gelernter Katholik“…

Ja natürlich, das ist ein richtiger Lernvorgang unter dem Doppelkreuz Passau. Dort kommt auch der Spruch her: „Dich werd’ ich noch katholisch machen.“ Die Leute wurden dort gefoltert früher. Daher kommt das Frankenberger Würfelspiel, bei dem jeder zweite gehenkt wurde. Die Leute dort haben gelernt sich zu ducken, wenn der Wind bläst. Sogar der Hitler war den Menschen dort suspekt.

War Hitler noch ein Thema in Lembach in Ihrer Kindheit? Haben die Leute dort bedauert, dass der Krieg verloren ging?

Ja natürlich. Wir hatten eine alte Tante, die manchmal betrunken war. Sie hat dann immer gefragt. „Soll ich den Adolf holen?“

Als Drohung?

Ja genau. Ich war als Kind sehr zerrissen. Mein Vater ist sein ganzes Leben lang niemals aus dem Dorf weg gegangen. Außer im Krieg. Das hat er uns immer bis ins kleinste Detail erzählt. Ich habe mich immer darüber geärgert, dass mein Vater den Krieg verloren hatte. Über den Hitler hat man schlecht geredet. Deshalb habe ich immer gedacht, der Hitler sei ein Engländer gewesen.

Der Bruno Kreisky war -Zitat aus ihrem Buch: „ein Sausozi“. Konnten Sie sich darüber mit den Leuten streiten?

Ja, wir haben deswegen Schlägereien auf dem Tanzboden gehabt. Besonders nach meinem ersten Film „Hirnbrennen“ haben alle gesagt, ich sei ein Nestbeschmutzer. Als Kind hatte ich natürlich Angst vor einem Sozialisten. Es hat einen gegeben im Dorf, den hat gar niemand angeschaut.

Was hat sie letzten Endes dazu bewogen zum Theater zu gehen? Sie waren auch Statist, schließlich auf der Schauspiel-Schule.

Ausschlaggebend war mein erstes großes theatralisches Erlebnis. Das war, als meine Mutter mich das erste Mal mit in die Kirche genommen hatte. Dieser Glanz, dieses Strahlen, diese Messgewänder. In dem Moment wollte ich nur noch Pfarrer werden. lacht … Das zweite Erlebnis war in Wien im Internat. Wir bekamen Freikarten fürs Burgtheater. Damals noch Stehplätze. Es war eine uralte Felsenstein-Inszenierung von Torquato Tasso. Ich habe nichts verstanden, aber es war wie das erste Mal in der Kirche. Ich war unglaublich fasziniert. Es war ein Phänomen, wie ein Traum. Ich wußte gar nicht, dass man sich das erst mal erarbeiten muss. Dann wollte ich natürlich Schriftsteller werden. Ich habe eine Ausstellung gesehen im Burgtheater von einem ehemaligen Max Reinhard -Dramaturg, Berthold Viertel, der emigrierte, und dessen Sohn Drehbuch-Autor wurde. Jeder Regisseur muss auch ein Schriftsteller, ein Dichter sein. Wenn’s nicht zum Dichter reicht, dachte ich, dann halt zum Regisseur… lacht

Gab es damals schon Themen, die Sie auf die Bühne bringen wollten?

Eigentlich nicht. Was mich reizte, war das „Rote Wien“ der Zwanziger Jahre. Es war eine revolutionäre Stadt. In dieser Zeit hat man in jedem Wiener Bezirk eine Bibliothek eingerichtet. Daher stammen noch Werke von Autoren, die heute niemand mehr liest. Ernst Fischer zum Beispiel, ein großartiger kommunistischer Politikwissenschaftler. Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe einfach alles gelesen, was ich übers Theater finden konnte.

Schauspieler, Regisseur, Literat. Was sind Sie? Alles in einem?

Ja, wobei ich eher in die Breite wachse als in die Höhe. Das hat den Nachteil, dass man breit und weit kommen kann, aber nicht hoch. Es ist schwerer, Karriere zu machen.

Muss man sich spezialisieren, um Erfolg zu haben?

Ja genau. Für mich wäre die Schreiberei das Erste. Aber dafür fehlt mir so viel. Das weiß ich. Wenn mir etwas gelingt, ist es gut. Mein Buch „Heimsuchung“ hat die Friederike Mayröcker als Hörspiel gehört und mir einen Brief geschrieben. Wenn mir etwas gelingt, komme ich schon weiter.

Sie schreiben, um Gedichte zu verfassen bräuchte man eine „erbarmungslose Gewalt der Sprache“…

… Ja, im Erkennen. Schriftsteller kleben auf die Dinge Etiketten drauf. Begriffsetiketten. Die Alchemisten schaffen es, den Begriff ins Zentrum des Dinges zu senden, und dadurch das Ding aufzulösen. Wenn man das liest, sieht man wirklich das Ding. Bei anderen ist es ein aufgeklebtes Etikett. Das genau zu finden braucht eine Erbarmungslosigkeit. Der Satz stammt von James Joyce. Wenn der ein Wort gesucht hatte, schickte er seine Assistenten drei Tage in die Bibliotheken zum Suchen. Er hat dann Tage gegrübelt, bis er das richtige Wort gefunden hatte.

Das ist Arbeit…

…. Ja, das ist es.

Wie entstand „Kalter Krieg und heiße Würstli“?

Wenn ich eine kreative Idee habe, dann kenne ich kein Halten. Der Grund, warum man überhaupt etwas durchsetzen kann gegen alle widrigen Umstände. Wir wollten eine Revue machen. Die Antworten auf meine Gesuche waren alle negativ. Eigentlich hätte ich abbrechen müssen, aber ich konnte nicht mehr anders. Dann erst ist das ein Hit geworden.

Sie schreiben in „Heimsuchung“, es gibt zwei Gründe etwas nicht zu tun: Die Gewinnsucht und der Idealismus….

Die Fortschrittlichen, die Kulturstiftung hat geglaubt, wir wollten Werbung für’s Militär machen. Der Regierungsrat hatte Angst davor, dass wir das Militär lächerlich machen. Sogar ein Brigadier kam zu Besuch und hat geschaut, was wir machen. Subversives Zeug. Plötzlich stand der Ernst Mühlemann (Ex-Nationalrat) im Gebüsch und hat gefragt, was wir da machen. Zum Schluss kommt jetzt ein Oberst mit seinen Rekruten und sagt, das sei Geschichtsunterricht.

In dem Falle war es der Idealismus, der Sie angetrieben hat?

Meine Antriebe sind eigentlich immer idealistisch und aufklärerisch. Das klingt etwas altmodisch, aber so ist es eben.

Ihr aktuelles Projekt?

„Kalter Krieg und heiße Würstli“, das spielen wir im Sommer wieder, das Stück lief letztes Jahr sehr gut. Es ist Theater in seiner reinsten Form. Es ist intelligent, komisch und witzig. Dann natürlich Romeo und Julia im Seeburg Park, dem schönsten Platz am Bodensee. Ich halte es für das schönste Stück der Weltliteratur. Ich werde versuchen aus dem Stück eine reine Herzmassage zu machen. Das Stück hat alles, es ist manchmal wahnsinnig komisch, im nächsten Moment ist es tieftraurig. Das muss man so belassen. Alles in dem Stück, bis hin zur Wortwahl ist auf Kontrast angelegt. – „Heißer Schnee, kalte Glut.“ Die verfeindeten Clans, das ist die totale dualistische Welt. Der Chor wird dabei sein. Volker Zöbelin hat eigene Musik komponiert. Ein schönes Ambiente, schauen wir mal.

Noch einmal zum Thema Heimat. Wie kamen Sie dazu, sich im Schweizer Thurgau nieder zu lassen.

Der Grund ist meine Frau Astrid. Ich habe sie als junger Schauspieler gesehen am Reinhard Seminar in Wien. Ich war sofort hin und weg. Sie ist nach Zürich ins Schauspielhaus, und ich hinterher. Als nächstes ist Astrid nach Konstanz gegangen, wir haben Kinder bekommen …

Sind Sie hier heimisch geworden?

Ja, auch weil ich es immer vermieden habe, Schweizerdeutsch zu sprechen. Das ist den Schweizern meist peinlich. Und ich habe gelernt, dass man sich bei uns aus reiner Gefälligkeit etwas erzählt. Keiner fragt, ob das stimmt oder nicht. Das haben die Schweizer nicht verstanden. Ich bin immer noch etwas heimatlos, ich habe mich in diesem Spalt eingerichtet. Da bleibt immer so eine kleine Melancholie. Das ist für meinen Job gar nicht so schlecht, wenn man sich wirklich nirgends wirklich heimisch fühlt. Wenn ich vom Thurgau rede, denke ich immer, dass man hier etwas tun muss. Ich fühle mich schon verpflichtet.

Es ist auch die Heimat Ihrer Kinder …

Ja natürlich. Deswegen habe ich hier auch Wurzeln bekommen. Ich versuche auch für die Leute gutes Theater zu machen. Ich schreibe Kolumnen in der Thurgauer Zeitung und setze mich für bestimmte Dinge ein. Ich versuche seit Jahren ein großes Filmprojekt hier her zu bekommen. Aber ich muss jedes Jahr ein paar Wochen nach Berlin gehen, um mein Hirn auszulüften. Am Wiener Burgtheater will ich schon seit Jahren inszenieren, aber sie lassen mich nicht. Da habe ich noch eine Rechnung offen. Zum Begriff „Heimat“: Wir dürfen den Begriff nicht den Rechten überlassen. Heimat ist auch unsere Landschaft. Unsere Berge oder Flüsse. Man fühlt sich einfach wohl. Ob das in der Toskana ist oder hier am Bodensee, ist vollkommen gleichgültig.

Herr Huber, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Johannes Fröhlich / Foto: Mario Gaccioli