„Robert Gernhardt – die Suddelblätter Cartoons zu Georg Christoph Lichtenberg“, so lautet der Titel einer Ausstellung, die derzeit im Konstanzer Kulturzentrum am Münster / Galerie im Turm zu sehen ist. Leider konnte der Karikaturist, der sich seit Jahrzehnten satirisch in Worten ebenso wie in Bildern messerscharf analysierend durch unseren Alltag bewegt, bei der Vernissage zu seinen Cartoons nicht anwesend sein. Doch trotz Krankheit gehört das Wort „Ruhestand“ für Robert Gernhardt dort hin, wo es am besten aufgehoben ist, nämlich ins Wörterbuch. Nimmer Müde sinnierte er für unsere Leser über die beiden Begriffe „Humor und Satire“.

Herr Gernhardt, Sie haben die seltene und kostbare Gabe, mit ihren zeichnerischen und dichterischen Satiren Menschen zum Lachen zu bringen. Macht Sie das glücklich?

Ja, das macht mich dann glücklich, wenn es funktioniert. Ebenso unglücklich ist derjenige der diese beiden Gaben hat, wenn es nicht funktioniert. Das heißt, der ernste Maler und der ernste Dichter sind nicht so reaktionsgebunden, das heißt, sie können die Reaktion auf ihre ernsten Gedichte nicht so überprüfen wie ich die Reaktion auf meine komischen Gedichte.

Der Schweizer Zirkus-Macher Rolf Knie sprach in einem Interview von den Clowns als den wichtigsten Figuren im Zirkus. Sind Sie nicht auch eine Art literarischer und zeichnerischer Clown?

Ich war es mal ganz und gar. Damals wollte ich nur Komisches probieren und Lachen erzeugen. Das hat sich aber geändert, deswegen bin ich nicht mehr so selbstsicher, was meine Rolle betrifft. Ich habe seit 1987 auch die Erfahrung gemacht, dass die Menschen enttäuscht waren, weil nicht jedes Gedicht zum Lachen war. Ich hatte so etwas wie einen Spagat zwischen Ernst und Humor versucht.

Woher nehmen Sie Ihren Witz, wer oder was nährt Ihren Geist?

Es gibt zwei Anlässe. Es gibt die Realitäten, die komisch sein können. Berühmtes Beispiel der König, der in Scheiße tritt oder der Papst, der auf einer Bananenschale ausrutscht. Je größer die Macht durch eine Krone, desto tiefer kann er fallen, desto erfreulicher ist das. Das sind die realen komischen Vorfälle. Dann gibt es so etwas wie in der Sprache zum Beispiel als Angebote zum Spielen, die dann in den Nonsens hineingehen. Jedoch nach strengen Regeln. Die Schüttelreime zum Beispiel. Solche Spielarten. Beides sind Mittel Komisches zu schaffen. So wie der „Ottos Mops“ von Ernst Jandl …

Ottos Mops kotzt, oh Gott oh Gott …

… Genau, alles auf O-Basis zu schreiben, das ist einfach komisch, weil es gegen den normalen Sprachgebrauch geht. Wenn die Leute dahinter kommen, lachen sie. Ich hab’ s dann mit Annas Tanz auf „A“, mit Enzensbergers Exeget auf „E“ und so weiter probiert. Die Leute freuen sich über den schlichten aber kräftigen Nonsens.

Sie befassen sich schon seit Ihrem Studium mit dem Physiker Georg Christoph Lichtenberg. Was ist so faszinierend an diesem Autor?

Faszinierend ist, was da einer geschrieben hat ohne Publikationsabsichten, was ihm auffiel, was ihm einfiel, in knapper Form. Und das von einem Witz, der heute noch wirkt. „Wage dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ oder „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“, „wage, alles in Frage zu stellen“, das alles hat Lichtenberg als ein Mann mit ausgeschlafenem Kopf gemacht und dadurch auch komische Blickwechsel gewagt. So wie: „Der Amerikaner, der den Kolumbus das erste Mal entdeckte, machte eine böse Entdeckung“. So etwas konnte Lichtenberg damals schon sagen. Der Rest der geistigen Welt ist ihm erst 200 Jahre später gefolgt.

Kann uns Lichtenberg Trost spenden mit seinen Versen?

Verse waren es nicht. Ja, er kann uns Trost spenden, weil er vorgemacht hat, dass man alles anzweifeln kann. Er war Naturwissenschaftler und ausgebildeter Philosoph. Man kann alles anzweifeln und muss trotzdem nicht in Trübsinn verfallen. Er hat einen ganz scharfen Blick auf die Welt, er sagt, wie sie ist, voller Widersprüche, aber er hat aus diesen Widersprüchen Honig gezogen und keine Galle.

Was erwartet den Zuschauer in Ihrer Ausstellung in der Konstanzer Galerie im Turm?

Ein Dialog von einem Schreiber, der vor 200 Jahren etwas geschrieben hat, und einem Zeichner, der heute zeichnet und nicht nur versucht zu illustrieren, sondern dem Schreiber auch zu antworten.

Ist die Karrikatur ein Mittel der Beschreibung, wenn Worte nicht mehr weiter helfen?

Ja, aber nicht nur das ins Bild zu setzen, was Lichtenberg gesagt hat, sondern dem noch eine Nuance hinzuzufügen.

Wilhelm Busch sprach von seiner Kunst als einem „Papier-Theater“. Sind Sie Ihr eigener Regisseur wenn Sie humorig zeichnen oder dichten?

Natürlich, Busch machte ja Bildergeschichten, ganze Dramen, wenn man so will. Das habe ich auch schon gemacht. Manchmal gibt es auch bei Lichtenberg Bildergeschichten. Ja natürlich, ich mustere meine Schauspieler und das, was ich im Kopf habe. Manchmal erfinde ich auch welche, wenn es dem Zweck dient. Ich bin auch ein Filmregisseur, ich kann sie in Großaufnahme einsetzen oder in der Totalen, ich kann einen Schwenk machen, von hinten oder von vorne zeichnen. Und es kostet alles nichts.

Ist Humor erlernbar oder ist es eine Art göttliche Fügung?

Es gibt die Ernstmacher. Hölderlin zum Beispiel. Von ihm gibt es keine Zeile, über die man lachen muss. Aber Leute wie Goethe, der tiefernste Dramen geschrieben hat, dann aber „den heiteren Mann lobt“, der sich nicht an den Widersprüchen der Welt aufrieb, sondern die gelassen aushält.

Wie differenzieren Sie Satire und Ernst?

Satire ist Kritik mit komischen Mitteln, ganz einfach. Es gibt eine ernsthafte Kritik, das spreche ich direkt aus, was ich denke: Ich finde, der xy ist nicht geeignet als Politiker. Punkt. Es gibt eine Satire, die meist mit den Mitteln der Ironie arbeitet. „Der xy ist ein hervorragender Politiker. Er hat es geschafft, alle Probleme zu lösen.- Wir haben kein Geld mehr, keine Arbeitsplätze, etc. Es kann nur noch besser werden.“ Das wäre eine satirische Betrachtungsweise. Es ist im Grunde genommen die selbe Kritik, bloß eben mit anderen Mitteln.

Wie bringt man als Zeichner die Zuschauer auf eine Pointe?

Der Pointeninstinkt kommt mir manchmal so vor wie der Torinstinkt beim Fussballer…

… Sie haben ein Interview gegeben über Fussball, darin vom Unterschied des Stürmers und des Humoristen gesprochen …

Der Humorist muss ahnen, wo die Pointe ist, und dass man sie heraus spielt. Ein Tor leuchtet jedem ein, eine Pointe leider nicht …

… Eine Pointe versteht eben nicht jeder …

Ja, damit muss man leben. Ich habe das gelernt. Ich habe einmal in der Bahn einem Mann gegenüber gesessen, der ein Buch von mir in der Hand hatte, und blätterte und blätterte, und hat keine Miene verzogen. Ich wäre ihm gerne zu Hilfe gekommen, aber dachte dann, da ist jede Hilfe umsonst.

Wer sind Ihre Vorbilder in Sachen Satire und Karrikatur? Von wem haben Sie gelernt?

In der Satire auf jeden Fall von Kurt Tucholsky. Ich war 15, als seine ersten Taschenbücher „Panther, Tiger & Co“ auf den Markt kamen. Er und nicht Karl Kraus hatte mich deswegen so begeistert, weil er mit deutlichen komischen Mitteln gearbeitet hatte …

Er hatte als Jurist ja einen ganz ernsthaften Beruf …

… Alle großen Komikproduzenten sind ursprünglich anders angetreten. Busch wollte Maler werden, Ringelnatz hat sich in verschiedenen Berufen versucht, Morgenstern war Lektor …

Sie füllen immer noch ganze Säle bei Ihren Lesungen. Auch bei der Vernissage zur Ausstellung waren sehr viele Leute da. Gibt es ein Gernhardtsches Erfolgsrezept?

Bei mir ist es einfach so gelaufen, dass ich so lange produziere -1962 habe ich meine erste Arbeit veröffentlicht, das sind jetzt 43 Jahre. Ich kann diese ersten Arbeiten noch vorlesen und sie werden noch belacht, das ist sehr sehr selten der Fall. Sie sind kurz und griffig, sie handeln von Themen, die immer noch in der Luft liegen – Weihnachten, Gastarbeiter, Ratenzahlung und Aktien. Ich kann damit keinen ganzen Abend bestreiten, aber ich kann mich damit vors Publikum stellen und drohend sagen: „Achtung, jetzt kommt eine Uralt-Satire aus meiner ersten Zeit. Die Zuschauer werden kein Wort verstehen, aber versuchen wollen wir es trotzdem.“ Darüber freuen sich die Leute dann unheimlich.

Stimmt es, dass Ihre Frau Ihre schärfste Kritikerin ist?

Die schärfste nicht, aber diejenige, die ich am meisten ernst nehme. Oft auch in ästhetischen Dingen. Wenn sie etwas kritisiert an einer Zeichnung, wie etwa dies oder jenes Gesicht ist noch nicht richtig ausgefeilt, dann sage ich zwar erst, „das sollte auch so sein,“ setze ich mich dann aber einfach noch einmal hin und mache es besser.

Noch einmal zum Anfang: Sind Sie ein glücklicher Dichter, der seine Verse immer wieder den Berg hinauf rollt? Der Humorist als Sisyphos?

Nein, ich bin mittlerweile jemand, der nicht nur glückliche Verse macht. Die letzten Verse beispielsweise behandeln Krieg und Krankheit …

Auch solche Geschichten, die Sie ganz persönlich betreffen?

… Ich bin in der glücklichen Lage, dass mir ein Gott sagen darf, dass ich leide, wenn man so will. Es muss nicht immer komisch ausfallen, auch dann, wenn es um solch ernste Themen geht. Aber es kann komisch ausfallen. Das jedoch nehme ich als eine Spezialveranlagung an. Ich freue mich doch der Tatsache, dass es auch dann noch etwas zu Lachen gibt …

Sie gehen auf die Siebzig zu und haben immer noch Spaß an Ihrer Arbeit …

Ich hoffe, ich werde die Siebzig erreichen, dann wird es ein erhebliches Rauschen im Blätterwald geben ….

Herr Gernhardt, vielen Dank für dieses Gespräch.

Interview: Johannes Fröhlich / Bild: S-Fischer Verlag