Ein Gespräch mit dem Künstler Tom Leonhardt

Herr Leonhardt, die nahe liegende Frage zuerst: Wie sind Sie zur Malerei gekommen?

Tom Leonhardt: Der Weg zur Malerei war ein etwas längerer. In erster Linie lief das über die Familie. Es ging um eine Entscheidung, die man vielleicht im fortgeschrittenen jugendlichen Alter trifft. Doch der erste Impuls kam über die Familie. Dort war Malerei immer ein Thema, mein Urgroßvater war Kunstmaler, er hatte sich zur Jahrhundertwende in Zürich durchgeschlagen, war dort Maler an der Oper und hat mit Hodler ausgestellt. Ich bin mit Leuten wie Picasso und anderen aufgewachsen.

Welche Künstler haben Sie beeinflusst?

In den Anfängen waren es alte Klassiker, das Erlernen begann bei mir früh damit, dass ich alte Rembrandt-Zeichnungen oder Zeichnungen von Da Vinci oder Picasso kopiert habe, da war ich erst 15 oder 16 Jahre alt. Die waren für mich am Anfang wichtig als Figuren, viele andere waren in der Familie Thema, natürlich auch Paul Klee, später ging ich an die Akademie zu einem Professor, zu dem ich eine Verbindung hatte, aber noch keine künstlerische, das war Professor Rudolf Schoofs in Stuttgart.

Ihr Vater war Architekt?

Mein Großvater und mein Vater waren Architekten. Die waren der Meinung, dass ich das Büro übernehmen sollte. Ich habe mich erfolgreich widersetzt. (lacht)

Was war die Mutter von Beruf?

Meine Eltern waren sehr jung, meine Mutter hat das Büro des Vaters gemanagt.

Sie hatten dann erst mal eine Lehre als Bauzeichner absolviert?

Ja, das war sozusagen mein Kompromiss. Im Zuge der Lehre wurde ich 18 und konnte dann meine Entscheidung frei treffen. Ich habe nach der Lehre den bauzeichnerischen Bleistift beiseite gelegt und kam per Zufall an archäologischen Grabungen vorbei, in Horn, das war Ende der 1970er Jahre. Da ich mich als Kind sehr für Archäologie und Geschichte interessiert hatte, habe ich auf der Grabung begonnen zu arbeiten. Daraus hatte sich dann eine Anstellung als Objekt- und wissenschaftlicher Zeichner ergeben, ich arbeitete fünf Jahre lang für das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg als wissenschaftlicher Zeichner, das hat mich inhaltlich und handwerklich weiter gebracht, danach ging ich dann an die Akademie.

Wie ist der Weg an die Akademie?

Der klassische Weg ist, dass man eine Mappe vorbereitet, die wird dann in einem Gremium gesichtet. Wird die Mappe für gut befunden wird man zu einer Aufnahmeprüfung zugelassen, wenn man die bestanden hat, bekommt man einen Studienplatz. Man besucht noch Vorbereitungskurse, dann gibt es eine Prüfung. Bei mir gab es so etwas noch nicht, ich hatte mich nach einem Lehrer umgeschaut, hatte aber keinen gefunden, der zu mir passte. Ich habe mich dann mit einer Mappe an der Akademie blind beworben. Damals war ich schon etwas älter. An der Akademie wurde ich schnell angenommen. Frage: Kann man Kunst erlernen oder ist es in erster Linie eine Frage des Talents oder der Begabung? Leonhardt: Wie in jeder anderen Kunstform ist es eine Mischung. Eine gewisse Begabung ist Grundvoraussetzung. Da oben drauf braucht man einfach Sitzfleisch. Das sage ich auch den Jüngeren, die bei mir Rat holen. Dazu kommt Durchhaltevermögen, nicht nur in den Anfängen sondern ein Leben lang. Auch Risikobereitschaft, Neugier und Härte gegenüber sich selbst sind wichtig. Wenn das alles zusammenkommt, auch der Wille, das alles zu tun, dann ist das vielleicht- ich betone vielleicht- die Voraussetzung, davon leben zu können.

Hier auf der Höri haben ja zahlreiche Maler gelebt und gearbeitet, ist das für Sie eine Art Ansporn?

Ich hatte ja in der Archäologie gearbeitet, war also hier in der Landschaft tätig, mein Standort war hier auf der Höri. Ich bin mit großem Glück in ein kleines Bauernhäuschen am See gerutscht, das war und ist alles sehr idyllisch. Als ich mit dem Studium in Stuttgart fertig war, begann ich mit dem Umspannwerk in Singen, es sah damals so aus, dass sich das gut gehende Projekt weiter entwickeln würde. Ich stand vor der Wahl, entweder in die Großstadt, etwa Köln oder Hamburg, oder hier in der Gegend zu arbeiten. Ich hatte mich dann dafür entschieden, in der Gegend zu bleiben.

Was bedeutet Ihnen die Landschaft?

Sehr sehr viel. Wir leben hier nicht in der Großstadt sondern in der Landschaft, der Lebensraum spielt für jeden Künstler eine große Rolle. Das ist in den Arbeiten zwar oft nur sehr verschlüsselt zu erkennen, aber bei genauerem Hinschauen kann man sehen, dass ich einen Zyklus über sechs Jahre hinweg erarbeitet habe mit dem Titel „Jardini“, der sich auf eine alten Bauerngarten bezieht, den ich selbst bearbeitet hatte. Auch spätere Arbeiten wie etwa die „Überflüge“ drehen sich fortwährend um Landschaft, um Architektur in der Landschaft.

Was bedeutet Ihnen die Stadt Singen als Kunststadt?

Singen bedeutet für mich einen Teil Kunstgeschichte, nämlich Singen nach 1945 als Industriestadt, die sich nach dem Krieg nach oben arbeitet. Man hat von Leuten wie Curth-Georg Becker, Erich Heckel oder Otto Dix profitiert. Der ehemalige Bürgermeister Theopont Dietz war sehr kunstverständig und hatte Freude an der Kunst, er hat auch Leute geholt die froh waren, hier arbeiten zu können. Diese Künstler hatten auch Familien zu ernähren. Das ist übrigens auch heute noch schwierig. Singen als Kunststadt ist für mich ein interessantes kunstgeschichtliches Phänomen, die Fortsetzung kam in den späten 1980ern bis in die 1990er hinein. Heute hätte Singen die Chance und die Kompetenz, in der Region als Kunststadt zu funktionieren, das klappt aber momentan nicht wirklich.

Wie kam es zum Projekt Umspannwerk?

Das Umspannwerk war mein Kind. 1986 sprach mich der damalige Kulturamtsleiter Alfred G. Frei an, und fragte, ob ich nicht in dem Gebäude Umspannwerk etwas unternehmen wolle. Ich schaute mir das an, da drinnen standen alle möglichen Sachen rum, alte Transformatoren und Ähnliches, es war irre. Doch mich hatte das Gebäude sofort fasziniert, ich sagte spontan zu. Ich hatte früher schon mit Studienkollegen Ausstellungen organisiert, und hatte deshalb Erfahrung und keine Berührungsängste. Man musste Geld organisieren, ich hatte keine Bedenken, zu einem Bankdirektor zu gehen und ich auf eine Beteiligung anzusprechen. 1987 bis 1991 haben wir das Umspannwerk durchgeführt, das Projekt wurde jedes Jahr größer, am Ende hatten wir 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Wir mussten die komplette Elektrik neu einbauen, und so weiter, wir wurden über die Jahre hinweg immer professioneller. Damals war Friedhelm Möhrle als OB im Amt, er stellte uns noch ein kleines Häuschen zur Verfügung. Das haben wir in Eigenleistung wieder instand gesetzt und renoviert, dort haben wir Leute aus ganz Europa einquartiert, die Künstler kam aus der Bretagne, aus Polen, aus Österreich und der Schweiz. Das Motto im Umspannwerk hieß leben und arbeiten. Das nannte sich „Artist in Residence.“ Wir hatten großen Erfolg, zum einen bei der Kollegenschaft, wir waren in den besten Kunstzeitschriften vertreten, ich hatte mit einer Künstlergruppe in Hamburg Kontakt, das lief alles auf hohem Niveau, wir hatten eine sehr gute Presse, Fernsehen war da, pro Ausstellung hatten wir bis zu 1200 Besucher, auch viele Leute aus der Schweiz. Das Konzept war international, angelehnt an die Euregio. Wir wollten keinen Grenzzaun ziehen, sondern offen sein. Wichtig war, es gab nie eine so genannte Künstlergruppe, also nicht etwa vergleichbar mit der „Brücke“ oder ähnlichem. Die Teilnehmer am Umspannwerk waren zum Teil gar nicht gleich gesinnt. Ich habe die Auswahl der Künstler getroffen, immer versucht, gegensätzliche Persönlichkeiten zu holen. Die mussten sich dann in der Auseinandersetzung finden. Ich habe dabei unglaublich viel gelernt, das war mein halbes Studium. Meine Entscheidung, wieder in die Gegend zu kommen hing mit dem Umspannwerk zusammen. Ich musste jedes Jahr wieder von Null anfangen und habe alle Jahre umsonst gearbeitet. Die komplette Organisation, die Finanzierung, die Abwicklung, das Layout der Kataloge, alles im eigenen Auftrag und ohne Entgelt. Das ging während des Studiums gut, doch irgendwann musste ich auch Geld verdienen. Ich habe mich dann an die Stadt Singen gewandt und um einen Sockelbetrag von 15.000 DM gebeten, das wurde abgelehnt. Wir hatten am Schluss Projektkosten von 120.000 DM. Ich musste bei Null anfangen. Damals stand der neue OB Renner in den Startlöchern, das Umspannwerk wurde der Politik geopfert. Damit war das Projekt gestorben. Eine Stadt braucht klare kulturpolitische Entscheidungen, ohne die funktionieren solche Projekte nicht. Ich habe mich dann an einer privaten Galerie beteiligt, hab dort das künstlerische Programm gestaltet.

Wie sehen sie Gemeinschaften, in denen Künstler(innen) zusammenarbeiten?

Das ist für mich kein Thema. Wenn man das nicht mit einem verklärten Blick betrachtet, gab es nur sehr wenig dieser Gemeinschaften. Auch die Maler, die hier auf der Höri arbeiteten, wie Dix, Heckel oder Becker, haben im Grunde immer ihr eigenes Ding durchgezogen. Man hat vielleicht mal eine Flasche Wein zusammen getrunken, doch dabei blieb es dann auch. Das ist heute noch so. Natürlich habe ich Kontakte, auch in die Großstadt wie Berlin oder Zürich. Im Sommer besuchen mich Leute in hier am See, aber eine Kolonie gab es nicht, das ist auch nicht meine Absicht.

Was bedeutet Kunst als Lebensinhalt?

Es gibt einen schönen Satz: Kunst ist etwas wie eine Überlebensstrategie. Ein künstlerischer Prozess, den man über viele Jahre bearbeitet und durchlebt, der ist nicht davon getragen oder geprägt, dass man jeden Tag ins Atelier geht und vor der weißen Leinwand von der Eingebung geküsst wird. Man legt sich Strategien zu mit denen man die alltäglichen Verunsicherungen des Berufes auch inhaltlich überwinden kann. Natürlich habe ich Strategien entwickelt, die mit ein kontinuierliches Arbeiten ermöglichen. Damit habe ich auch eine gewisse Sicherheit. Ich arbeite seit vielen Jahren an großen Themenkreisen, die werden mehrere Jahre bearbeitet. Dabei gibt es feste Definitionen zum Beispiel für das Format oder die Art und Weise wie Farbe aufgetragen wird. Der Inhalt der Darstellung wird durchvariiert innerhalb klar benannter Koordinaten. Das ist für mich eine gute Art zu arbeiten. Ich möchte gar nicht jeden Tag die Kunst neu erfinden. Im Grunde geht es aber immer darum, das ungesehene Bild zu malen oderdie nicht gesehene Zeichnung zu zeichnen. Also Türen zu unbekannten Räumen aufzustoßen, das ist mein eigentliches Abenteuer. Die Freiheit in meinem Beruf ist ein ungeheuer großes Geschenk. Das ist im gewissen Sinne auch privilegiert. In der heutigen Kunst gibt es keine Maßstäbe mehr, was richtig und was falsch ist. Es gibt Qualität, aber diese zu finden auf dem Hintergrund der alten und der neuen Kunstgeschichte mit dem Anspruch, tatsächlich das ungesehene Bild zu finden, das ist eine hoch gelegte Latte.

Kunst als Lebensgefühl?

Mein Alltag ist mein Beruf, ich bin mit Kunst aufgewachsen, das hat mich geprägt, auch ich habe mich von Vorstellungen lösen, mich emanzipieren müssen. Kunst heißt schon, jeden Tag neue Entscheidungen zu treffen. Und gewissenhaft an der Arbeit zu bleiben, die Risikobereitschaft nicht zu verlieren. Man muss auch scheitern können. Wichtig ist ein Erwachen in dem Neuen, was einem begegnet, es geht auch um Befriedigung über Dinge, die lange Jahre ihre Qualität halten. Ich bin gar nicht so weit entfernt von einem guten Handwerker, der Künstler hat meiner Meinung nach auch eine Verantwortung innerhalb der Gesellschaft, es geht nicht um Schönfärberei, sondern um das Sich-Stellen gegenüber bestimmten Themen. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass die Gesellschaft das auch schätzt und mit trägt. Das ist in den letzten 15 Jahren schwieriger geworden, wenn die Kommunen ihre Krankenhäuser nicht mehr bezahlen können, ist auch kein Geld mehr für die Kunst da. Das spürt man als Künstler deutlich, doch ich werde nicht müde weiter zu arbeiten.

Danke für das Gespräch