KREUZ UND QUER

Ein Lesebuch

APOLLINARIK

Die Nacht bricht herein. Die Lichter gehen an. Das Volk vergnügt sich mit Alkohol, derweil ich das Wasser aus der Leitung zu schätzen lerne. Es quellt. Unergründliche Tiefen sind in ihm verborgen. Das macht den Reiz eines Berufstrinkers aus. Eines zum Wasser Beru­fenen. Ich könnte schwören, daß auch der Kalk, der sich in meinen Gefäßen absetzt, irgendwann zum Rausch führt. Es ist nur ein Gefühl.

DIE SOLDATIN

Ich traf sie in Paris in einer Discothek. Wir gehörten zu den letzten, die noch übrig geblieben waren, als der Morgen schon graute. Müde von der durchtanzten Nacht stand sie an eine Säule gelehnt. Sie hielt eine Zigarette in der einen, und ein Glas Rotwein in der anderen Hand. Bekleidet war sie mit einem schwarzen Rock, einer Jeansjacke und roten Schuhen. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich anhatte, aber vermutlich hat man uns beiden angesehen, daß wir von den Preisen für Eintritt und Getränke und der ganzen Stadt Paris völlig ausgezehrt waren. Ich hatte kein Bargeld mehr bei mir, nur noch zwei Schecks, die ich für den Flug nach London einlösen wollte. Am nächsten Morgen, das heißt in ein paar Stunden sollte es losgehen.

Die Frau war alleine, sie schien schon halb zu schlafen, und ich beschloß, sie anzusprechen. Irgendwo im Hinterkopf hatte ich noch ein französisches „Guten Morgen“ gelagert, das ich eher schüchtern an sie herantrug. Sie lächelte mich an, stellte ihr Glas auf einen Tisch, drückte die Zigarette aus, und knöpfte ihre Jacke zu. Ich verstand zuerst nicht, was das zu bedeuten hatte, war verlegen, und wollte schon wieder auf die leere Tanzfläche gehen, als sie meinen Arm ergriff, und auf Englisch sagte:“Laß uns gehen“.

Damit hatte ich nicht gerechnet. In dem Moment gingen die Lichter an, und ich konnte zum ersten mal in ihr Gesicht sehen. Sie hatte rötliche Haare, vermutlich gefärbt, kastanienbraune Augen, einen schmalen Mund, dessen geschminkte Lippen fast schwarz waren. Sie war schön.

Ich heiße Jakob, sagte ich zu ihr, und sie nickte, ohne eine Antwort zu geben. Ich muß erwähnen, daß ich nie ihren Namen erfuhr, ich will sie Mike nennen.
Wir verließen den Tanzpalst, und gingen auf die Straße. Draußen war es schon hell, es herrschte reger Autoverkehr, und beide hoben wir instinktiv den Arm vors Gesicht, damit wir nicht geblendet wurden.

Ich wußte nicht mehr genau, in welchem Arrondissement wir uns befanden, ich kannte nicht einmal den Namen der Straße. Als ich sie fragte, inzwischen hatte ich verstanden, daß es einfacher war, sich auf Englisch zu verständigen, wo sie wohne, und was wir jetzt vorhatten, zuckte sie mit den Achseln. „Ich weiß es nicht“, sagte sie noch, und dann schlug sie vor, ein Hotel zu suchen. Ob sie müde sei, fragte ich sie, und sie legte ihren Arrm um meine Schultern und nickte. Ich begriff, das es nicht viel zu reden, gab, und umarmte sie ebenfalls. Wir hatten kein Auto, mein Gepäck waer in einem Schließfach am Gare du Nord, ich ging davon aus, daß auch sie kein Geld hatte. Aber wir waren zu zweit.

Ohne miteinander zu sprechen gingen wir die Straße entlang, bis wir zu einem Hotel kamen. Inzwischen hatte ich auf einer Uhr an der Metrostation gesehen, daß es halb sechs war.

Die Türe des Hotels war verschlosssen, ich klingelte, und der Nachtportier kam angelaufen. Es war ein Araber, vermutlich aus Marokko oder Algerien. Als er uns sah, schüttelte er den Kopf, und drehte das Schlid mit der Aufschrift „Chambres libres“ um, so daß wir die Rückseite zu lesen bekamen: „Complet“. Ich hatte so etwas vorher noch nie erlebt, vermutlich sahen wir ihm zu verkommen aus, jedenfalls machte der Mann auf dem Absatz kehrt, und verschwand wieder.
Wir suchten das nächste Hotel auf. Es war eines der gehobeneren Kategorie, vielleicht zwei oder drei Sterne, ich weiß es nicht mehr. Die Tür war ebenfalls verschlossen, und auf das Klingeln wiederholte sich ziemlich genau der selbe Vorgang: Der Portier kam angelaufen, sah uns, schüttelte den Kopf und verschwand wieder.

Hotel Nummer drei und vier: Die selbe Prozedur.

Mike und ich hatten bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort miteinander gewechselt.

in einem Hotel. Wir waren die letzten, die sich begegnet waren in dem gro­ßen Ballsaal. Wir schliefen zusammen in einem Bett. Unschuldig wie die Kinder. Du und ich. Erkannt haben wir uns erst am nächsten Morgen. Dein Haar war rot, fast schon rostfar­ben. Du hattest eine Nummer auf dem Unterarm tätowiert. Ich dachte, die Zeit der Konzentra­tionslager sei wiedergekehrt. Doch Du erzähltest mir von Israel. Von dem Land, das immer Krieg führt. Und davon, daß Du eine der Soldatinnen bist, die für den Frieden kämpfen. So gesehen warst Du männlicher als ich, der ich nie ein Gewehr getragen hatte. Du warst auf der Flucht, und wolltest, daß ich Dich mitnehme. Doch ich selbst war ein Flüchtling, beladen von der Angst des Verfolgten. So ging die Erinnerung mit. Statt Dir. Ich hoffe, Dir geht es gut.

EIFERSUCHT

Das Narrenschiff war voll beladen. Ich steckte mittendrin. Einen Tanz mit Dir auf dem Deck wünschte ich. Doch dann kam er. Du und er. Ihr habt Euch geküßt. Mir blieb nur das Zu­schauen. Dabei war ich der Erste gewesen bei Dir. Jahre zuvor. Leider mochtest Du mein Publikum nicht. Euer Zungenschlag traf mich ins Herz. Nun war alles vorbei.

VERST-ECK

Von Euch lasse ich niemanden mehr zufrieden. Steht ruhig weiter in den Ecken herum. Wenn es soweit ist, werdet Ihr wieder an den Wurzeln Eurer Väter rühren. Die Toten wer­den dankbar sein dafür. Ich nicht.

DUMMHEIT

Wieder habe ich vier Seiten aus meinem Lieblingsbuch gerissen. Ich wäre gerne schlauer geworden. Doch andere sind mir zuvorgekommen.

HILFLOS

Eine falsche Bemerkung hat Dich zur Raserei gebracht. Ich versuchte Dich zu trösten, doch Du ranntest fort und begannst zu heulen. Wieder einmal ein Moment, in dem ich hilflos war.

DIEBESGUT

Ich habe Bücher gestohlen von Autoren, die ich nicht verstand. Ich habe sie gelagert und sorgfältig aufbewahrt. Jetzt fallen sie mir zur Last. Ich frage mich, was ich mit ihnen tun soll. Du antwortest mir nichts.
Ich habe Lieder gestohlen, die von der Straße klangen. Doch nach der Umwandlung durch meine Stimme waren sie wertlos.
Ich habe Blicke gestohlen, die nicht mir galten. Sie verfolgten mich in schwarze Löcher hin­ein. Ich schaute mich selbst im Spiegel an. Es gab keine Befriedigung.
Ich habe Küsse gestohlen, die nicht für mich bestimmt waren. Ich schrieb sie in mein Buch hinein. Nun fressen sie mich auf.
Ich habe Wahrheiten gestohlen, mit denen man mich angelogen hatte. Ich verbreitete sie als Gerüchte. Nun täuschen sie mich erneut.
Ich bin und bleibe ein Dieb.

SEPSIS

Arzt: Schwester, Tupfer!
Schwester: Wortlos.
Arzt: Schwester, Skalpell!
Schwester: Wortlos.
Arzt: Schwester, Tupfer!
Schwester: Wortlos.
Arzt: Haken!
Schwester: Wortlos.
Arzt: Assistent, halten Sie mal!
Assistent: Wortlos.
Arzt: Da haben wir den Salat. Schwester, Tupfer!
Schwester: Wortlos.
Arzt: Noch einen Haken!
Schwester: Wortlos.
Arzt: Halten, hab ich gesagt! Sind sie schon schlapp?
Assistent: Wortlos.
Arzt: Ja, damals im Krieg. Das war was. Wir haben noch gedient. Schwester, Tupfer!
Schwester: Wortlos
Arzt: Und immer schwarz die Schweine geschlachtet. Und die Milch vom Bauer gestohlen. Der ist ja total verkrebst, der Gute. Schwester, Tamponade!
Schwester: Wortlos.
Arzt: So, Sie Mimose. Schauen Sie sich das mal genau an. Und den Haken fester halten.
Assistent: Wortlos.
Arzt: Da ist wirklich gar nichts mehr zu machen. Hat vielleicht noch drei Wochen, der Mann.
Assistent: Jawoll.
Arzt: Aber bluten tut er noch wie Sau. Schwester, mehr Tupfer! Das hört ja gar nicht mehr auf. So eine verdammte Scheiße.
Schwester: Wortlos.
Arzt: So, mein Guter. Ich muß jetzt in OP 2. Machen Sie mal zu die Sauerei.
Assistent: Jawoll.
Arzt: Also dann…
Assistent: Endlich ist er weg. Kann ich auch mal was tun. Faden bitte!
Schwester: Wortlos.
Assistent: Bleibts bei heute Abend?
Schwester: Ja, klar. Wie abgemacht.
Assistent. Soll ja ein toller Laden sein.
Schwester: Hab ich auch gehört.
Assistent: Und anschließend noch zu mir?
Schwester: Mal sehen.
Assistent: Ich könnt ein paar Spaghetti kochen.
Schwester: Vielleicht.
Patient: Herzfrequenz sinkt rapide ab.
Assistent: Das darf doch nicht wahr sein.
Schwester: Nur keine Panik.
Assistent: Narkose, mehr Sauerstoff!
Narkose: Zu spät.
Patient: Stirbt.
Assistent: Ach du meine Fresse.
Schwester: Macht nichts, ist schon der vierte diese Woche.
Assistent: Wenn Sie meinen.
Schwester: Alles Routine.
Assistent: Stimmt auch wieder.
Schwester: Spart dem Labor Arbeit.
Assistent: Also gut.
Schwester: Ab in die Patho.
Assistent: Bleibts bei heut Abend?
Schwester: Ja, um acht.

ESSLUST

Meine Augen fressen Deinen Mund. Dein Mund frißt meine Schenkel. Meine Schenkel fres­sen Deine Brust. So fressen wir uns. Bis nichts mehr übrigbleibt.

LOLITA

Sie sitzt im Bus. Auf der Linie 17. Den Finger im Mund. Ein Opa staunt. Ihr Jüngling lächelt.

GROSCHENLUST

Erinnerst Du Dich noch an die Gummierdbeeren, die es früher an den Kiosken zu kaufen gab. Fünf Stück für zehn Pfennig. Wir lutschten sie gemeinsam, hatten rote Lippen und Hände, und fühlten uns wie Könige. Heute wundert mich gar nichts mehr.

ANGST

Ich sitze im Café, und warte auf Dich. Du kommst, gekleidet wie ein Schulmädchen. Wir reden über meine bevorstehende Verhandlung vor dem Gericht. Ich habe Angst. Wieder muß ich mich erklären, warum ich die Gewalt hasse. Du sagst zu mir, ich solle mich durch­schlagen und wünschst mir Glück. Anschließend gehst Du ins Reisebüro und buchst einen Flug. Dann trennen wir uns. Ich vermisse Deine Bilder. Berlin ist eine große Stadt.

EROS

Am Morgen nach unserer ersten Liebesnacht kochtest Du Spargel zum Frühstück.

SCHLUSS

Du warst die Fotografin und ich das Modell. Du gabst die Anweisungen, und ich tanzte mit der Stehlampe. Du hast abgedrückt, und ich war wieder einmal tot.

ABSCHIED

Der Schmerz sitzt zu tief, als daß ich ihn vergessen könnte. Du umarmtest mich, und ich berührte Deine Brust. Danach hast Du mich verlassen. Ich ging zu den Huren. Sie blieben mir treu. Bis heute.

GESTÄNDNIS

Wir erlebten viel zusammen. Doch im Grunde haben wir uns immer mißverstanden. Du sehntest Dich nach schwarzen Lackstiefeln. Ich mich nach dem schwarzen Afghanen. Du hast Dich vor dem Staat versteckt. Ich habe ihn provoziert. Du wolltest Dich umbringen. Ich wollte leben. Aber ohne Dich.

LONDON

Du hattest Angst davor, ein Kind zu bekommen. Unsere Begegnung in einer Londoner Mu­sichall war die in einer fernen Welt. Zum Tanzen hatten wir beide keine Zeit. Unsere Be­gierde war zu groß. Du erzähltest mir von Amerika, dem großen Land Deiner Väter. Ich war aus der Provinz geflüchtet. Einer unter Tausenden. Wir verbrachten nur eine Nacht zu­sammen. Dann sahen wir uns nie wieder. Ich frage mich manchmal, was Du wohl tust. Ha­ben Deine Haare immer noch die Farbe eines Raben? Sind Deine Lippen immer noch das purpurne Fleisch, in das ich gebissen habe? Ich werde es nie erfahren. Es ist ein Bild.

ERSTE LIEBE

Wir küßten uns immer auf dem Friedhof. Dein Haar war wie eine Oleanderblüte. Alles, was uns umgab, waren die Grabsteine. Nur die Toten belauschten unser Turteln. Gemeinsam lernten wir Französisch. „Embrasser“ war unser Lieblingswort. Du hattest immer Deine Au­gen geschlossen. Sie waren ein Vorhang aus weißem Samt. Unsere Hände gruben sich ineinander. Wir hielten uns fest. Gleich Engelsflügeln bewegten wir unsere Zungen. Deine Beine waren voller blonder Haare. Ich habe sie gerne gestreichelt. Auf den Sohlen Deiner Clocks hattest Du meine Initialen eingeritzt. Ich war so stolz darauf, als ich es sah. In der Mathematikstunde hielten wir uns an den Händen unter der Schulbank. So konnte ich nie die Differentialrechnung verstehen. Jeden Abend fuhr ich an dem Haus vorbei, in dem Du wohntest. Immer wenn in Deinem Zimmer das Licht gebrannt hatte, hielt ich an mit meinem Fahrrad, und schaute zu Dir hinauf. Ich habe nie geklingelt an der Türe. Es genügte mir, Dich an Deinem Schreibtisch sitzen zu sehen. Erinnerst Du Dich an die langen Spazier­gänge an dem kleinen Fluß. Du mußtest den Hund ausführen. Doch das war nur ein Vor­wand. Wir trafen uns heimlich an dem Weidenbaum. Es war uns egal, wenn es geregnet hat. Wir sprachen wenig. Worte waren nicht wichtig für uns. Alles waren uns die Berührun­gen.

HASS

Früher träumte ich immer von einem Mann mit Hut. Heute habe ich den meinen auf dem Altar der Faschisten geopfert. Ich hasse diese Menschen. Ich liebe ihre Opfer. Verbrannt habe ich nichts. Außer meinen Gedichten.

EREIGNIS

Die Kinder des Holzfällers saßen auf den Plastikstühlen und schrien im Takt. Ich wunderte mich darüber, daß keiner sich entsetzte.

PREIS

Das Gute und das Böse sind zwei Komponenten, deren Auswüchse jeweils Gefahr laufen, in Extreme abzugleiten. Weniger gut und weniger böse ist weniger gut und weniger böse. Zwei Mittelmäßigkeiten also. Auf einer Skala von 1-10 würde das die vier und die sechs bedeuten. Zwei Fünfen werden in unseren Schulen Mangelhaftigkeiten genannt. Später lernt man dazu, daß dies mit einem Mangel an Haftung nichts zu tun hat. Erst bei dem Schadensrecht des bürgerlichen Gesetzbuches tauchen diese Begriffe in Form von Schadens­haftung und Gewährleistungsmangel wieder auf. Das Auftauchen wiederum ist ein Begriff aus der Welt des Sports, des Tauchsports. Hier bedeutet das Auftauchen eine Beendigung des Tauchvorgangs. Nicht zu verwechseln mit dem Tauschvorgang, der wie­derum aus dem steinzeitlichen Handelswesen stammt, als es noch kein pekuniäres Zahlungs­mittel gab. Daß Geld dann schon zur Zeit der Chinesen gestunken hat, wußten die Römer später mit ihrem Sprichwort „pecunia non nocet“ zu sagen. Also doch kein Ge­stank, sondern ein Schaden. Womit wir wieder bei der Klugheit angelangt wären, deren Erreichen doch unser aller Ziel ist. Oder die Freude, deren Ode schon der alte Frommhoven zu lobpreisen wußte. Denn auch der Fleiß hat bekanntlich seinen… Na ja.

VERZEIHNIS

Um Verständnis zu ersuchen scheint oft leichter, als um Verzeihung zu bitten. Dabei ist eine Suche oft komplexer als das Beten. Als Kind findet man noch vieles, ohne sich große Mühe machen zu müssen. Beten oder Bitten ist noch schwierig. Beim Erwachsenen wird es dann schnell zur Routine, doch mit den eigenen Unzulänglichkeiten kann man leicht zum Bettler werden. Nicht äußerliche, offensichtliche Armut, sondern Seelenschmerz, Seelen­schmutz lagert sich ab. Er ist schwierig reinzuwaschen. Wie will man schließlich etwas Unstoff­lichem mit etwas Stofflichem beikommen. Weingeist vielleicht? Wirkung selbst als Mittel zum Zweck? Heiligt die Verzeihung das Beten?

WIDERSTAND

Die Straßenschlacht ist in vollem Gange. Wir flüchten vor den Polizisten. Sie sind stärker als wir. In einem Hinterhof können wir ein Versteck finden. Für diesmal haben wir noch Glück gehabt. Später dann haben sie Dich erwischt. Das mußte kommen. Ich habe mich nicht mehr blicken lassen. War das ein Verrat? Der Widerstand ist eine anstrengende Ange­legenheit. Man kämpft gegen eine Macht, die nicht zu besiegen ist. Man kämpft trotz­dem. Die Niederlagen gehören zum Tagesresümee wie die Suppe am Abend. Ich will den großen Politiker hören in der Halle. Die Eintrittskarten sind ausverkauft. So schlage ich mich in die Büsche und mache mein Geschäft. Das Publikum drinnen applaudiert. Ist das noch Widerstand? Später finde ich in dem Anarchistencafé eine Krone aus Hanf. Ich nehme sie mit und rauche heimlich ihre Blätter. Der Rausch ist gigantisch. War das noch Widerstand? Ich fühlte mich als der Gott des Syndikats. Es war alles eine große Täuschung.

ZWEIFEL

Du wolltest eine Philosophin werden. Doch statt dessen hast Du meinen Feind geheiratet. Was soll ich Dir noch glauben?

STUMMFILM

Das Klavier machte mich stumm. So entstand die Musik zu einem Film.

MACK THE KNIFE

Du wolltest das Improvisieren lernen. Ich brachte Dir Mackie Messer bei. Du warst glücklich und wipptest mit Deinem im Lederrock verpackten Hinterteil.

BAUMGEDANKEN

Die Erkenntnis des Baumes: Man pflanzt mich. Vielleicht entstehe ich auch aus Zufall. Meist bindet man mir, wenn ich noch jung bin, eine Stange um den Hals. Man pflegt mich. Ich werde beschnitten. Ich werde gegossen. Wenn es soweit ist, beginnt man, meine Früchte zu ernten. Dann bin ich schon groß. Ich blühe im Frühjahr. Und verliere meine Blätter im Herbst. Sie tragen schöne Farben. Dann und wann werde ich sogar fotografiert. Weil ich so schön bunt bin. Meine Freunde, die in der Nähe stehen, winken mir ab und an zu, wenn es windet. Die Kinder klettern auf mir herum. Und alle Menschen leben von meinem Sauer­stoff. Plötzlich kommt jemand auf die Idee, dort, wo ich stehe, ein Haus zu bauen. Man be­schließt, mich und meine Freunde zu roden, weil wir im Weg stehen. Die Säge wird ange­setzt, und es geht uns an den Kragen. In ein paar Minuten ist alles vorbei. Dann bin ich tot. Doch ich komme wieder. An einem anderen Ort. Zu einer anderen Zeit. Vielleicht habe ich mich in die Zapfsäule einer Tankstelle verwandelt, oder auch in einen Strommast. Ich rieche jetzt nicht mehr gut. Und mein Dasein ist nur noch funktional. Ich muß solange stehen blei­ben, bis ich wieder nicht mehr gebraucht werde. Es wird wieder eine Vertreibung kommen. Dann kann es sein, daß ich eingeschmolzen oder verschrottet werde. Doch auch das werde ich überstehen. Und einige Zeit später werde ich dann zum dritten mal auferstehen. Es kann sein, daß mich ein Bildhauer als Marmorstehle bearbeitet, oder als einen Granitstein. Vielleicht werde ich auch zur Skulptur. Das wäre schön, denn dann könnten sich die Men­schen noch einmal an mir erfreuen. Diese Existenz schließlich muß ich schon ziemlich lange aushalten. Mein Wesen ist immer härter geworden. Doch selbst das geht vorüber. Und dann? Ja, vielleicht bin ich dann schon nicht mehr auf dieser Welt, sondern längst auf einem fernen Planeten. Niemand wird mich mehr zur Kenntnis nehmen. Möglich, daß ich dann auch einer der drei Bäume des kleinen Prinzen bin. Man kann nie wissen.
DAS LUSTVERSÄUMNIS
Hab‘ ich doch…

Bin ich doch schon…

Kann schon was…

Träum‘ davon…

Wollt‘, ich wär’…

Vielleicht auch nicht…

VERFLUCHT

Verflucht hat nichts mit Flucht oder fliehen zu tun. Vielmehr mit dem Fluch. Nicht jedoch mit dem Fluch im Sinne eines Schimpfwortes, sondern mit dem Fluch, der über einem liegt. Die Fluchflucht ist kein Stotterwort, sondern ein dem Schicksal Entkommen. Verflixt!

PEINLICH

Als das Motorrad um die Ecke bog, säumte mein Wollhemd den letzten Faden ab. Ich war fast nackt. Und das vor einer Rockerbraut!

IRRTUM

Keine Übung macht den Meister. Vielmehr schafft der Meister eine neue Übung für den Gesellen.

ARBEIT

Morgens um halb sechs geht es zur Frühschicht. Auch heute wird wieder ein Tag voll harter Arbeit sein. Die Kranken liegen in ihren Betten, und sind hilflos. Ich pflege sie nach bestem Gewissen.

SIRENEN

Heute ist wieder ein Tag, an dem die Sirenen heulen. Sie locken mich an die Orte der Ver­brechen und Unfälle. Doch ich widerstehe der Versuchung. Vielleicht werde ich eines Ta­ges ein Opfer sein. Der Sirenen.

DIE ROSEN

Das Leben der Rosen ist dornig und weich. Ihre Farben betören unsere Augen. Ihre Düfte verzaubern unsere Nasen. Die Rosen.

DER PREIS

Ich war bei den Huren. Bei den billigen und den teuren. Zuerst vergewaltigte man mich zu den Besuchen. Später tat ich es gern. Die eigentliche Rechnung kam erst Jahre danach. Es war die Ächtung unter den Bürgern. Auch Du, die du das liest, warst dabei. Du bist die letzte und die teuerste. Ich gebe Dir alles, was ich habe: Meine Liebe.

DER DRANG

Die Nonne trägt den Koffer. Sie will wieder einmal verreisen. Nach Hause zu ihrer Familie. Sie weiß nicht, was sie dort erwartet. Aber auch sie hat manchmal Heimweh. Das muß man verstehen.

ONAN

Er sitzt in der Küche auf dem Stuhl. Er ist allein. Die Gedanken kreisen um Sie. Sie ist schon lange fort. Er hat die Bilder im Kopf. Von ihrem letzten Zusammensein. Da kündigt sie sich wieder an, die Epilepsie der Lust. Er steht auf und gibt ihr nach. Die Vorhänge wa­ren nicht zugezogen. Das macht nichts. Es ist sowieso alles umsonst gewesen. Wieder einmal.

FRIST

Zwei Freunde sitzen im Café. Sie ziehen ihr Tagesresümee.

Die Studienzeiten sind vorbei. Anfangs ist man noch arbeitsscheu.

Um sie herum die künftigen Kollegen. Bis auf ein paar Nimmerleinshaudegen.

Es ist Abend, man bleibt anonym. Gibt sich noch etwas ungestüm.

Doch trinkt schon gelassen das zweite Bier. Und schwärmt viel zu früh schon von früher.

Die Mädchen werden inzwischen zu Fraun. Sind nicht mehr ungeniert anzuschaun.

Vielleicht käme es dann und wann. Noch einmal auf die Versuchung drauf an.

Doch unsere Freunde gehn jetzt nach Haus. Denn morgen müssen sie wieder früh raus.

Im Grunde genommen ist alles normal. Für sie war das Leben noch nie eine Qual.

Wie es manch anderen manchmal ist. Bis eben die Frist verstrichen ist.

DER PARKHAUSWÄCHTER

Er sitzt in seinem vier Quadratmeterbüro. Der Parkhauswächter. Immer wenn ich ihn sehe, befällt mich so etwas wie Mitleid mit ihm. Ich hasse dieses Gefühl, doch es ist trotzdem da. Dieser Mann ist umnebelt von den Abgasen der Autos. Seine Gesichtsfarbe ist keine Farbe mehr. Es ist ein Totenweiß. Er pendelt mit seinen Augen hin und her zwischen den Bild­schirmen der Überwachungskameras und dem Fernseher, der sein liebster Freund gewor­den ist. Es ist ein Luxusgerät. Immerhin. In dem Stollen Parkhaus geschieht die meiste Zeit nichts. Dann und wann kommt ein Auto an der Glasscheibe vorbeigefahren, oder jemand beklagt sich über das Nichtfunktionieren des Billetautomaten. Der Mann in seinem Glas­häuschen ist zu vollkommener Passivität verurteilt. Man muß fragen, ob solch eine Art der Arbeit für den Menschen noch zumutbar ist. Gewiß, er hat sich das selbst ausgesucht, der Parkhauswächter. Er ist frei in seiner Entscheidung. Und er kann jederzeit kündigen. Aber kann er das wirklich? Ist er nicht vielleicht dazu verpflichtet, diese Arbeit zu tun? Muß er vielleicht eine Familie ernähren? Oder hat er Schulden, die er abbezahlen muß? Jedenfalls führt er eine selbstzerstörerische Existenz. Er gleicht eher einem Versuchstier, als einem Menschen. Ja, früher, da gab es auch die Bergarbeiter, die in ihren Stollen schufteten. Sie erwarben so zu Hunderten ihr Brot. Doch sie verband wenigstens noch eine Gemeinschaft, in der sie ihre Leiden zusammen besser ertragen konnten. Dieser Mann in seinem Parkhaus­kästchen aber ist vollkommen isoliert. Er krankt vor sich hin, alleine und ohne Gefährten. Sein Häuschen ist ihm zur Zelle geworden. Der Lohn seiner Gefangenschaft ist immer zu niedrig, gleich wieviel man ihm bezahlt. Doch unsere Gesellschaft ist fort­schrittlich. Und sie ist großzügig – zu den Autos.

ALSO I

Es ist ein Donnerwetter. Zeit für die Zwerge zur Leichenwäsche. Woran wir uns noch laben, ist längst vergangen. Die Jungen zucken wie die Blitze zur Musik. Sing Hallelujah! Ausge­träumt. Scheinbar ist alles gut.

Die Herren Doktoren geben ihre Hüte ab an den Garderoben der Wissenshungrigen. Gleichgesellt und abgeschaltet. Das letzte Rockkonzert war nicht gerade besonders. Ein geglückter Abend? Fischgesang in der Nacht. Blubbern aus den Gullideckeln. Die Schächte werden nicht mehr zur Flucht benötigt. Der dritte Mann ist tot. Anton Karras hat seine Zitter auf dem Trödelmarkt verkauft. Man nächtigt luxuriös und gibt sich redlich.

Händereiben allerorten. Ein Teppichverkäufer schlägt seinen Hund. Die Zaren schreiben noch geschwind ihre Memoiren. Erinnerungen spielen dabei keine Rolle mehr. Der Nach­folger von Jimmy Hendrix ist auch schon abgestürzt. Wir werden alle älter und Jünger. Was hilft gegen das Vergessen? Wer kümmert sich um die Toten? Rachmaninow bleibt den Mißverstandenen. Und die Jazzprofessoren pokern mit dem Verfassungsschutz. Einheit wird zur Zweideutigkeit und umgekehrt.

Scheint nur Sterne, scheint! Olaf beißt sich einen Finger ab. Er hat beschlossen, Psychiater zu werden. Die Bahnlinien konfirmieren gegenläufig. Und ihre Betreuer beißen die Hunde. Die Gegner erschießen sich einseitig. Und Alter schützt vor Krankheit nicht. So wollen es die Leichenbestatter. Im Moment werden keine Friedhöfe mehr geschändet. Die Täter schämen sich, werden gerecht bestraft, und wandern hinter Gitter. Recht so! Dennoch ist rechts wie links, und links wie rechts. So will es schließlich die Relativität.

Die Intendanten lesen immer noch Theaterstücke, anstatt sich mit den Garderobenfrauen zu unterhalten. Die Antiquitätenhändler rufen ein neues Zeitalter aus. Der Puppendoktor zeigt mit dem Finger auf den Anarchisten. Und Rosa Luxemburg darf sich endlich im Grabe herumdrehen. Die Literaten zeigen den Verlegern, wie sie ihr Geschäft führen müssen, und die Verleger werden von ihren Sekretärinnen erlegt. Verlegen werden sie dabei nicht. Oh, Sonne, Mond und Sterne. Ich hab‘ Euch doch so gerne.

Die Nase des Pinocchio muß herhalten als Gütezeichen für italienische Kochkunst. Und am Brunnen vor dem Tore, da kam sie mir zuvore. Die Ehebetten halten den Dezentralisierungshoffnungen der großen Philosophen noch immer nicht stand. Alles wird getrennt. Und dabei wird alles eins. Welchen Fluchtweg nehmen, falls die braune Soße wieder überkocht? Retten wir uns nach Madagaskar, oder holen wir unser Ruderboot aus dem Keller? Die Sanitäter erzählen vom Krieg, von abgeschossenen Armen und Beinen. Ihre Söhne spitzen dabei stolz die Ohren, und wundern sich, wenn man sich in ihrer Gegen­wart bekreuzigt. Der Zylinder des Zauberers fahndet nach dem Kaninchen, welches der Schornsteinfeger gestohlen hat. Sieben Tage, Sieben Nächte. Nichts getan, als nur das Schlechte.

Die Kreuzworträtsel machen wieder kommunikativ, und gemeinsam findet eine Lösung, wer alleine im Regen steht. Derweil der kleine Schreiber den Kindern die Zähne zeigt, wird der Verwaltungsangestellte a.D. zum Künstler. Bleibe, bleibe, wo du bist. Bevor man dich zu­letzt vermißt.

Der Regen gibt dem Wald die Hand. Sauer sind beide, weil man sie nicht voreinander ge­schützt hat. Die jungen Wilden kommen in die Jahre, während die grauen Haare ihrer Leh­rer im Ausfallen begriffen sind. Kosmonopoly wird zum Gesellschaftsspiel, und die Plätze im All sind rar. Wer das Geld dazu hat, darf die großen Filme im Kino sehen, und die Fotos der Stars werden auf den Märkten verschleudert. Wildwestfilme gibt es nur noch im fernen Osten. Und gleichermaßen bringen wir den Epigonen von John Wayne unser Fernsehopfer. Habt acht auf Eure Waffen, bevor sie zu Euren Mördern werden. Die Taschenbecherspieler leiden nie an Armut, weil die Ordnungshüter süchtig nach dem Verlieren sind. Oh Führer-, Führer-, Führerschein. Du lädst den Wirt zum Trinken ein.

Die Demoskopen in Uniform hetzen ihren eigenen Statistiken hinterher, die ihnen die Pro­grammierer längst gestohlen haben. Wer nach einer passenden Meinung sucht, schaut sich die Werbung im Fernsehen an. Und die Journalisten werden zu Kunstdilettanten. Die Heroinsucht verbannt den Wunsch nach Einsamkeit. Und die Dealer werden zu sonoren Herrn auf dem Markt der tödlichen Illusion. Nur weiter so, Ihr Herren Vorstandschemiker. Oder Komiker? Wer lacht noch über Eure Pointen, die Ihr den Kranken und Sterbenden, den Unwissenden und Idioten gestohlen habt? Rollt Eure Fahnen ein und bekennt Euch zum Ernst der Lage. Der Wahnsinn hatte schon immer Methode, auch als die Seher noch immer kleine hochdotierte Illusionisten waren. Die Briefträger beginnen wieder damit, die Post zu vernichten. Oder sind es nur wieder die Millionenmaschinen, die nur links zwo, rechts zwo lesen können.

Die Huren singen den Abgesang der Kleingärtner. Die Vorstadt wird zur Halbstadt. Die Halbwelt boykottiert den Katholizismus, der sich mit der Nichtwelt seiner Anhänger zur Alleswelt emporschwingt. Die Pfarrer legen Hand an die Röcke ihrer Haushälterinnen, und die Laienpriester predigen das kommunistische Manifest. Die Zöllner kontrollieren ihre eige­nen Autos und werden selbst zu Schmugglern. Arbeiter und Bauern, tut nicht mehr lauern. Bildet den Staat, der Euch betrogen hat. Also.

ALSO II

War Thomas Bernhard im Recht, als er den Pathologen wahnsinnig werden ließ? Oder schrieb er ihm jene Ignoranz zu, von der nie jemand wußte, mit welcher Berechtigung sie existiert?

Rauch auf dem Wasser und ein Feuer am Himmel. Nein, die DOORS waren keine Brand­stifter.

Die Türen versperren sich gegenseitig die Eingänge. Es gibt eine Bildlichkeit der revolutio­nären Theorien. Was tut der Straßenreiniger, wenn er mit seiner Zange die Zigaretten­kippen aufzwickt? Entwöhnt er sich selbst, und auch nur für einen Moment? Jedenfalls ist der Unrat immer noch pünktlich. Man kann sich auf ihn verlassen. Er ist eben ein Professor!

Rote Rose lieb ich dich. Lockst zuerst, dann stichst du mich. Im Garten Unschuld lauerst du. Gibst vor der Spritze keine Ruh.

Schlaf, Kindlein, schlaf. Dein Vater ist ein Schaf. Sein Chef, der ist der Schäferhund. An Leib und Seele kerngesund. Schlaf, Kindlein schlaf.

Träum, Kindlein, träum. Im Wald, da stehn die Bäum. Ein jeder ganz für sich allein. Drum können sie zusammen sein. Träum, Kindlein, träum.

Spiel, Kindlein, spiel. Du weißt noch nicht sehr viel. Am besten ists, das bleibt auch so. Sonst wirst du nie des Lebens froh. Spiel, Kindlein, spiel.

Ja, Kindlein, ja. Die Mami, die ist da. Und wenn sie keine Lust mehr hat. Dann schiebt sie dich zur Oma ab. Ja, Kindlein, ja.

Schlaf, Kindlein, schlaf. Auch du wirst mal ein Schaf. Und hast mal einen Schäferhund. Der stößt sich dann an dir gesund. Schlaf, Kindlein, schlaf.

Sezuans Musterschüler fahren mit ihren Sirenenautos um die Wette. Sie begegnen dem Heulen mit Heulen. In der Zwischenzeit gehen Evas Töchter noch immer auf den Strich, von ihren Freiern geschlagen und sich im Labyrinth der Lüste verirrend.

Der Mann, den niemand kennt, und der keiner Gemeinschaft angehört, sitzt einsam am See, versunken in seinem Elend. Er ist betrunken von dem Dosenbier, und sehnt sich nach einem Gefährten, der ihm wenigstens den Gruß anbietet. Seine Kleider starren vor Dreck, doch er widersteht der Verlockung der Fluten, die ihn zum Freitod einladen. Er will leben. Mit diesem Entschluß ist er stark wie kein anderer in der Gesellschaft der sauberen Todes­sehnsüchtigen, die , eingehüllt in ihre Mäntel, an ständiger Unterkühlung leiden.

Es ist alles Eis, was auf der Oberfläche schwimmt. Die Mondphase geht gegen voll. Und die Tankstellenangestellten verfluchen ihr neues Computersystem. Es ist eine große Sucht nach Infrarotstrahlen. Der Mechaniker gerät durcheinander, weil der Motor wieder funktio­niert. Und die Autofahrer werden zu do-it-yourself-Schuhmachern. Die Sohlen sind auf den Gaspedalen festgeklebt. Kleiderpreise werden zu Mythologien. Und das Sperrgut zur Reli­gion. Der Galerist lacht seine Künstler aus, weil der Alkohol bei der Vernissage den Besu­chern wichtiger ist, als die Bilder. Der Mörder wird zum Soldat. Und keiner will wahrhaben, daß der Soldat immer schon ein Mörder war. Also.

ALSO III

Kummer. Humor. Schönberg.

Schöner Kummer. Schöner Humor. Berg. Gipfel. Ruhe. Sanftes Dahinleben. Schöner Gip­fel. Danke. Kummervoller, schöner Humor. Über den Berg. Den Alban. Großer Berg.

Schlummer im schönen Humor? Warum Hand anlegen? Am schönen Berg. Kummervoll. Spanische Straße. Voller Kummer. Schönberg in Spanien. Voller Not.

Aha.

Schönberg in Not. In Kummernot. So ging Schönberg über den Berg. Bis zu seiner Zelle. Auf dem schönen Gipfel der Ruhe. Auf dem Ruhegipfel. Der Gipfel des Berges ist schön. Alles ist schön. Überall Berge.

Lauter. Lauter. Lauter. Das ist der Gipfel. Das ist der Berg. Das ist das Schöne am Kum­mer. Das ist der schöne Kummerberg.

Die Kummerburg des Schönberg. Schöngeist. Berggeist. Gipfelgeist. Warum nicht, Schön­geist? Berggipfel. Ruhekummer. Ruhekammer. Schöne Kammer. Bergkammer. Zelle. Bergzelle. Zellenkammer. Kummerkammer. Bergkammer. Ziege. Schönbergs Ziege. Pilz­sammler. Auf dem Schönberg. Zellensammler voller Kummer. Kummerzelle.

Schöner Kummer? Schöner Kummer! Schmerzen. Schöne Schmerzen? Kummervoller Schmerz, schöner. Fall vom Berg ins Schöne. Fall in der Zelle. Zellenfall. Schöne Zelle? Schöner Zelle als Schmerz?. Schmerz auf dem Berg. Kerker! Schöner Kerker! Erker. Schmerz. Schöner Erker. Kummer schöner? Schmerz! Erker! Zelle! Berg!

Luftschloß. Schönes Luftschloß. Auf dem Berg. Auf dem schönen Berg. In der Zelle auf dem schönen Berg voller Kummer. Oder voller Luftschlösser? Zelle. Berg. Schmerz. Kum­mer. Schloß. Schloß zur Zelle. Verkümmert? Abgeschlossen? Die Zelle? Kummer, Herr Delinquent? Schlüssel dabei für den Kerker? Für die Zelle? Für das Schloß. Für das Zellen­schloß?

Was an Kummer verbirgt dieses Schloß auf dem Berg? Diese Zelle in diesem Schloß?

Schöne Bescherung! Weihnachtstraum. Voller schöner Berge mit Schlössern drauf. Die schönsten Schlösser hängen in der Luft mit kummervollen Bergen voller Schlüssel. Nicht wissen, wohin. Alle Schlösser in die Berge. Alles Schöne abschließen? Allen Kummer be­schönigen? Kerker der Dinge. Die Herren mit ihren Schlüsseln zu allen Schlössern. Zu allen schönen Dingen.

Jedem Schloß seinen Schlüssel. Jedem Schlüssel sein Herr. Jedem Herr sein Traum. Je­dem Traum sein Schloß. Jedem Schloß seinen Berg. Jedem Berg seinen Gipfel. Jedem Gipfel seine Ruhe. Jeder Ruhe ihre Zelle. Jeder Zelle ihren Delinquenten. Jedem Delin­quenten seine Haft. Jeder Haft ihren Sinn. Jedem Sinn seinen Wahn. Jedem Wahn seine Vorstellung. Jeder Vorstellung ihre Kraft. Jeder Kraft ihr Los. Jedem Los seinen Gewinn. Jedem Gewinn seine Sucht. Jeder Sucht ihren Abhängigen. Jedem Abhängigen sein Kreuz. Jedem Kreuz seinen Heiland. Jedem Heiland seinen Tod. Jedem Tod seine Angst. Jeder Angst ihren Schmerz. Jedem Schmerz seine Linderung. Jeder Linderung ihren Verant­wortlichen. Jedem Verantwortlichen seine Antwort. Jeder Antwort ihr Versprechen. Jedem Versprechen sein Widerspruch. Jedem Widerspruch seine Logik. Jeder Logik ihren Sinn. Jedem Sinn seinen Zweifel. Jedem Zweifel sein Ohne. Jedem Ohne sein Mit. Jedem Mit sein Einander. Jedem Einander seine Zweisamkeit. Jeder Zweisamkeit ihre Einsamkeit. Jeder Einsam
keit ihr Verlangen. Jedem Verlangen seine Begierde. Jeder Begierde ihren Durst. Jedem Durst seinen Hunger. Jedem Hunger seine Not. Jeder Not ihre Tugend. Jeder Tugend ihre Form. Jeder Form ihren Inhalt. Jedem Inhalt seinen Punkt. Jedem Punkt. Punkt. Punkt. Also.

TODESGESCHÄFT

Als ich über den Friedhof ging, mit nichts als dem puren Leben in mir, starb ein Stück Ehr­furcht. Hätte sie gelebt, wäre ich vermutlich schon tot. Es war kein Erwachsen, sondern ein Erlöschen. Ich verspürte keine Schauer. Vielmehr entstand die Lust, zum Grabräuber zu werden. Ohne Arbeit und ohne Geld stellte ich mir für einen kurzen Augenblick einen Ma­rmorengel in meiner Tasche vor. Die Angst vor einem undefinierten sakralen Syndikat hielt mich dann doch davon ab. Ich gelobte, zu den Toten in Zukunft ehrlich zu sein. Und ehr­fürchtig. Zumindest zu einigen.

NOVEMBERMONAT

Novembermonat.

Traurigkeit.

Die Felder tragen den Nebelschleier.

Schneetränen lösen den Regen ab.

Novembermonat.

Graue Eminenzen kreuzen die Straßen.

Die Eulen verstecken sich.

Novembermonat.

Winter steht Schlange.

Die Teestuben füllen sich.

Novembermonat.

Die Sonne wirft eine rotviolette Glut an den Himmel.

Der Sommer ist erfroren.

Man flüchtet in Häuser.

Novembermonat.

DER ALTE MATTI

Hinter dem Haus, in dem der alte Matti mit seinem Weibe wohnte, war ein kleines Gärtchen. Es gab dort Pflanzen der verschiedensten Art. Die Krönung des Gärtchens jedoch war ein großer, schon sehr, sehr alter Nußbaum.

Alle Jahre wieder kam die Zeit des goldenen Oktobers und damit die der Nußernte. Früher war der alte Matti noch mit einer Leiter auf den Baum gestiegen, um die Früchte abzuneh­men. Heute war ihm das zu beschwerlich, und er wartete einfach, bis sie auf die Erde fie­len.

Dieses Jahr war ein ganz besonderes, denn der Baum gab hunderte von den herrlichen Wallnüssen von sich. Der alte Matti und seine Frau waren überglücklich, und sammelten die kleinen Kostbarkeiten auf. Doch wie jedes Jahr waren sie vor das gleiche Problem gestellt. Man weiß, daß die Nüsse in einer kleinen, aber durchaus harten Schale versteckt sind, aus der sie nur schwerlich herauszulösen sind. Schließlich ist nur das Innere der Schale zum Verzehr bestimmt. So kam es, daß durch lange Jahrhunderte hindurch die Leute Gewalt anwenden mußten, wenn sie in den Genuß der kleinen hirnigen Früchte kommen wollten. Es entwickelten sich verschiedene Methoden der Öffnung. Man legte die Nüsse auf den Boden, und schlug mit einem Stein darauf. Man hielt sie pressend gegeneinander. Ja, man versuchte sogar, sie mit den eigenem Zähnen zu knacken. Alle diese Lösungen waren sehr unelegant, und führten oft nur dazu, daß die Nüsse schließlich zu keinem rechten Genuß führen wollten. Keiner konnte der Schwierigkeit des Nußknackens dienlich beikommen.

Auch der alte Matti war schon oft verzweifelt, ob der Unmöglichkeit des Nüsseknackens. Eines schönen Tages jedoch, als er gerade seine alte Uniform putzte – er war Offizier bei der königlichen Garde gewesen – kam ihm beim Polieren der Knöpfe die erleuchtende Idee: der alte Matti rieb und rieb das Messing glänzend, als er plötzlich wie in einer Vision seinen Vorgesetzten sah, der eine Nuß zwischen den Zähnen hatte. Er biß darauf, und ruinierte sich damit flugs sein schönes Gebiß. Das freute den alten Matti nicht schlecht. Er ging so­fort in seine bescheidene Schreinerwerkstatt, und fertigte seinen alten Vorgesetzten aus Holz an. An den Rücken montierte er einen Hebel, mit dessen Hilfe das kleine Männlein nun fortan fröhlich und vergnügt eine Nuß nach der anderen knacken konnte.

So hatte der alte Matti zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Er hatte ein gar nützlich Ding erfunden, und zeigte seiner stolzen Gemahlin und der ganzen Welt, daß auch die Vorgesetzten spuren, wenn man bei ihnen den Hebel nur richtig ansetzt.

ABRAHAM

Abraham und sein Schoß.

Die Geborgenheit. Die Sicherheit.

Für die Kinder.

Für die Kinder Abrahams.

DER GRAM

Der Gram dickt sich ein im Kopf. Der Gram. Der Gram frißt seine Zellenration. Der Gram. Der Gram nimmt sich, was er will. Der Gram. Die Butter wird ranzig. Die Milch wird sauer. Der Gram. Das Gemüse vertrocknet. Es ist an der zeit. Der Gram. Alles wird zäh. Die Ge­danken kleben fest. Der Gram. Schulden an Schulden. Der Gram. Das Papier häuft sich. Der Gram. Alles wird eklig. Alles wird ganz und gar ekelhaft. Der Gram. Das Holz stinkt nach Muff. Der Gram. Das Obst verfault langsam und miefig. Der Gram. Wir starten das Auto. Es ist ein Sonntag. Es ist ein Gramsonntag. Die Sonne scheint. Trotzdem ist es ein Gram. Wir sind auf dem Trödel. Es ist ein Gram. Alles glänzt und ist gezeichnet. Die Dinge in ihrem Chic. Tausend schöne, schicke Dinge. Alles ist nutzlos. Es ist ein Gram. Das Kind klatscht nicht mehr in die Hände. Es ist ein Gram. Der Puppenspieler leistet den Offenba­rungseid. Es ist ein Gram. Die Preise im Nachtclub fallen in den Keller. Das Decoltée der Sängerin rutscht nach oben. Es ist ein Gram. Ein Haus verfault von unten her. Die Hexen haben es verlassen.. Die Hunde stinken vor sich hin. Und der Himmel ist noch immer blau. So blau. Es ist ein Gram. Der Wirt zecht sich zu Tode. Seine Frau trägt die Leichenblässe. Es ist ein Gram. Schon ist wieder die Zeit, in der man an die Not denken muß. Man hängt sich den letzten Goldklumpen um den Hals. Es ist ein Gramklumpen. Man kann nie wissen. Der Porzellanhändler taxiert keine Kunst. Es ist der große Gram. Die Botschaft heißt „und tschüs“. Die Motten fressen das Motto. Der Mann von Welt ergreift die Flucht und zieht sich in das letzte Dorf zurück. Der Gipsermeister mit seinem Stukkateurschädel ist der größte Narr. Die Kassiererin reibt sich Daumen und Zeigefinger wund. Und die Preise werden an das Betrugsdezernat verliehen. Es ist der Betrugsgram. Die Kunst ist keine fünf Pfennig mehr wert. Und das Handwerk versinkt im goldenen Boden. Der Bademeister hat das Schwimmen verlernt. Und die Höhensonne verbrennt das Eintrittsgeld. Es ist der Höhen­gram. Alles wird reformiert. Und die Professoren geben den Reichen das Recht. Es ist im­mer noch ein Riesengram. Tausendschön ist auf dem Stuhl festgewachsen. Und die junge Mutter schreibt Gedichte, statt sich um ihr Kind zu kümmern. Der Agitator will alles können. Und verliert dabei das wenige Gekonnte. Der Fotograf wird von der Barbarei angelächelt. Alles ist ein riesengroßer Gram.

VERZWEIFLUNG

Vergangene Verzweiflung. Verzweiflung an Dingen. Verzweiflung an Menschen. Verzwei­felt. In der Vergangenheit. Ein Zweifel, zwei Zweifel, drei Zweifel. Viele Zweifel. Und so fort. Die schiere Verzweiflung. Die pure Verzweiflung. Immer wieder verzweifelt. Viel gezweifelt. Ein Mensch. Ein Ding. Ein Zweifel. Viele Menschen. Viele Dinge. Viele Zweifel. Viele Men­schen und die totale Verzweiflung. Ein Verzweiflungszug. Ein Zug voller verzweifelter Men­schen. Zweifel der Menschen über andere Menschen. An den Dingen verzweifeln? An dem Menschen verzweifeln? Niemals verzweifeln? Immer verzweifeln?

Verzweiflung als Endgültigkeit. Als Endgültigkeit der Endgültigkeit. Immer die endgültige Verzweiflung im Kopf. Im Kopf verzweifeln. Im Herz verzweifeln. In der Seele verzweifeln. Ein seelischer Verzweiflungszustand. Die ganze Seele völlig verzweifelt. Im Endstadium der völligen Verzweiflung. Als eine Art Endverzweiflung.

Aus dem Alles kommt das Nichts. Das Nichts wird hingerichtet. Es wird zerstört aus Ver­zweiflung heraus. Das ganze Nichts mit seinem Ein und Alles wird zerstört. Alles und eins wird nichts und zwei. Aus der Verzweiflung heraus. Das ganze Nichts wird kaputt gemacht. Aus schierer, völliger, purer Verzweiflung heraus.

Das Alles verzweifelt am Nichts. Und das Nichts verzweifelt am Alles. Die gegenseitige Ver­zweiflung. Es gibt kein Glück mehr. Kein auch noch so kleines Stückchen Glück mehr. Alles wird unglücklich und zu nichts. Der Glücksmoment zählt nichts mehr. Er wird zur erneuten Verzweiflung. Diese Verzweiflung ist zutiefst eine Unglückliche. Es gibt keine glückliche, auch keine geglückte Verzweiflung. Oder doch?

Kann die Verzweiflung ins Glück führen?

Das Glück ist der Ausweg aus der Verzweiflung. Wenn man die Verzweiflung überwunden hat, auch nur für einen kurzen Moment, dann ist man vielleicht eine Sekunde glücklich. Und wenn es nur für einen kurzen Moment ist. In diesem Moment wird die Verzweiflung zum Glück, zum Alles. Das Nichts wird verdrängt. Vollkommen ist dieser kurze Moment. Er kann ewig dauern, auch durch die nächste Verzweiflung hindurch. Schließlich kann man jedoch auch an diesem Glücksmoment verzweifeln. Es ist die Glücksverzweiflung. Keine glückliche Verzweiflung, sondern eine Verzweiflung am Glück. Man hat in diesem Falle wieder einmal Pech gehabt, weil man am vielen Glück verzweifelt ist. Es gibt Menschen, die haben so viel Glück, daß sie daran verzweifeln. Sie können nicht anders, als über das andauernde Glück zu verzweifeln. Das andauernde Glück wird dann zu ihrem Pech. Sie stürzen vom Glück in ein Pech, das sie gar nicht bemerken, weil sie immer noch glauben, glücklich zu sein. Sie sind es aber nicht mehr, sondern sie sind verzweifelt.

Nicht, daß sie ihre Verzweiflung be­merken würden. Sie bemerken sie erst, wenn die Verzweiflung so groß ist, daß das an­dauernde Glück zum Unglück wird. Es wird zum Nichts. In diesem Moment wird das Pech zum Alles. Alles wird Pech, und man bemerkt es nicht einmal. Man verzweifelt auch nicht mehr, sondern beginnt, in einen Dämmerzustand zu verfallen.

Man dämmert aus der Verzweiflung heraus. In ein glückliches Pech. Alles beginnt nun zu dämmern. Das Nichts dämmert. Es ist ein entzweifelter Dämmerzustand. Kein Glück mehr, kein Pech, kein Zweifeln. Nur noch ein Dämmern. Damit ist kein Alles und kein Nichts mehr. Kein Tag und keine Nacht. Alles ist nur noch halb. Ein halbes Glück. Ein halbes Pech. Eine halbe Verzweiflung. Nichts ist mehr ganz. Alles ist jetzt nur noch halb. Es gibt nur noch den Halbzustand. Wachen und Schlafen sind halb. Und alles ist halb.

Die Verzweiflung verschwindet. Sie flüchtet sich in den Traum. Dort findet sie ihren Meister, den Zustand der Dämmerung. Alles und nichts werden geträumt. Es legt sich eine Dämme­rung über das Alles und das Nichts. Es ist ein Nebel, ein Dunst, hinter dem alles verschwin­det. Es gibt eine Milch, die man nirgends saugen, und nirgends absondern kann. Sie um­spült alles und macht aus der Verzweiflung ein Gesöff. Es ist ein Gesöff, das abhängig macht, aber nicht verzweifelt. Man trinkt davon, wenn man kann. Man sucht den Nebel und den Dunst. Man sucht das milchige Gesöff. Die Suche ist zunächst einfach. Sie wird mit der Zeit jedoch immer schwieriger. Man ist längst schon entzweifelt. Aber süchtig nach dem Gesöff. Das Gesöff dickt langsam ein. Es wird zum Brei. Zum zähen Brei. Er klebt den Dämmerzustand zusammen, als Dämmerbrei. Es ist jetzt kein Nichts mehr und kein Alles. Es ist der Mitteldämmerbrei. Nichts bleibt fest. Alles wird schwammig. Alles ist dick. Verzweiflungsdick. Verzweiflungsbitterdick.
VERSPRICHWORT
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Ach Spott, würdest du nur niemandem schaden.

Spottet nur – schadet nicht!

Spottet über mich, spottet über wen ihr wollt.

Nur tragt auch den Schaden.

CLOWNDILEMMA

Die Maske des Clowns ist das Dilemma des Dilettanten. Der Clown ist ein Dilettant in sei­nem Dilemma. Das Lachen des Clowns ist sein Selbstmord. Der Clown dilettiert sein La­chen. Er steht in dem Dilemma des nicht lachen dürfens. Der Clown ist ein Lachdilettant.

GÖTE

göte war farbenblind. Er konte nuhr ser schlächt läsen one seine prille. Sein kopff war meist etwaß rod. Weil er sich imer so aufrekte. Göte warr ales. Wärther unt faußt unt herman unt derr täufl. Drum war er auch bischen schitsofrän. Schreibn warr fir göte folder. Er hatt fil gelidn. Der göte. Er warr auch gemeinrad der göte. Und hate imer eine pärügge auf. Wegn seine harausfal. Sons weis ich nix iber göte.

HAHNENKAMPF

Federn lassen. Als Hahn. Gefangen im Käfig. Alles zertrampeln. Hahnengetrampel. Feder­batterie. Kein Ei zu legen imstande. Der Hahn. Hahn mit tausend Volt. Batterienhahn. Die Energie der Kämme. Nie gekannt. Stolz zerhackt des Gegners Fleisch. Blutrot der Kamm. Ein Verbrechen. Ein Mord. Ein Hahnesmord. Verbrechen bekennen, Hahn. Alles zerhacken. Keine Träne von einem Hahn.

SCHÖNHEIT DU

Schönheit, junge Schönheit, Du.

Sitzt auf dem Stuhl, als wärs ein Roß.

Schönheit, junge Schönheit, Du.

Bist eine Pflanze. Vielleicht eine Orchidee.

Du hast die Unschuld in Deinen Augen.

Schönheit, junge Schönheit, Du.

Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du so schweigsam bist?

Schönheit, junge Schönheit, Du.

Alle starren Dich an. Und Du lächelst nur.

Du fängst sie mit Deinem Lächeln.

Schönheit, junge Schönheit, Du.
Es ist wie ein Sog, in dem sie ertrinken.

Doch Du hörst die Hilfeschreie nicht.

Schönheit, junge Schönheit, Du.

Dein Haar ist die Sonne, die Deine Freier blendet.

Du gehst mit gesenktem Haupt und wirfst es nach oben zum Augenstich.

Schönheit, junge Schönheit, Du.

DEIN FREUND

Es ist dunkel. Es wird Nacht. Ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit. Du bist fort und ich warte auf dich. Ich fürchte mich nicht vor dir. Alles ist immer einsam. In der Nacht. Ich zähle bis hundert und schalte das Licht an. Es will jetzt hell werden. Ich lasse die Lampe brennen. Damit du weißt, daß ich da bin. Sie kommen wieder mit dir wahrscheinlich. Du hast sie doch immer in den Taschen. Die kleinen Glücksmacher. Sie klimpern immer so schön, wenn du die Treppe hocheilst.

Zeig mir deinen Mund. Ich will die Zähne sehen. Wasch dich, sonst stürzt du über die Kante. Dein Freund ist Arzt. Ich mag ihn gern. Er sieht so friedlich aus. Seine Augen haben immer einen feuchten Schimmer. Das ist die Wahrheit. Ich lüge dich an mit der Wahrheit. Aus Liebe zu dir. Dein Freund lügt niemals. Das weiß ich genau. Ein Arzt darf nicht lügen. Er ist ein Ehrenmann.

Verstehst du mich? Spürst du, wie meine Hand zittert? Neulich habe ich es wieder einmal bemerkt. Es ist schon zur Gewohnheit geworden. Die Brille, die ich gestohlen habe, paßt zu der Farbe deines Autos. Ich trete die Türe ein bei deinem Auto. Ich bezahle den Schaden. Es macht mir nichts aus, mein Geld für kaputte Türen auszugeben. Sag, liebst du meine Schulter? Sie trägt wieder den Stern. Der Horizont rückt näher. Dein Auge ist zerstochen.
Ich sehe alles und bin doch blind. Ich leide wieder. An dir. Und dem Arzt. Ich leide an dem Arzt. Er war es, der mir den Stern aufgemalt hat. Er ist reich. Seine Pillen verkaufen sich gut. Er mag den Geruch von fettigen Wurstbuden. Er schreibt sich Briefe mit dem Apothe­ker und wenn er mich sieht, nickt er mit dem Kopf. Warum trägt er einen Ledermantel, der Arzt? Ist ihm so kalt zu dieser Jahreszeit? Manchmal habe ich Angst vor ihm. Wenn er durch die Finger pfeift und seinen Hund zu sich ruft. Es ist ein großer Hund. Er kommt mir dann immer vor wie ein Lehrer, dein Freund, der Arzt. Seine Schüler sind sportlich. Sie sind alle gesund. Sie sammeln Bierkrüge. Sie stellen sie in Vitrinen auf und freuen sich auf die Alkoholiker, die Rat suchend zu ihnen kommen.

Das Papier ist schwarz. Ich kann nichts mehr sehen. Das Flügelschlagen deines Haares. Komm und rette mich. Ich will dir Geld geben, doch du schüttelst den Kopf. Ich nicke dazu und du streckst die Hand aus. Reiche sie mir wieder, wenn du am Ertrinken bist. Ich hole dann deinen Freund, den Arzt. Und den Lehrer, sein zweites ich hole ich auch noch. Dein Schrank ist groß und das willst du so. Im Spiegel haben sich alle deine Träume verirrt. Im­mer wenn ich deinem Freund, dem Arzt begegne, zähle ich auf drei. Eins, zwei, drei. Weiter kann ich nicht mehr zählen. Ich getraue mich nicht mehr. Es ist so einsam in dieser lichter­nen Dunkelheit. Der Arzt schaltet das Licht an. Der Lehrer zieht die Vorhänge zu. Was kann ich dir noch sagen? Daß es Zeit ist, krank zu sein? Du wirst wieder fort gehen, wenn ich gestehe. Alles wird mit einmal rot werden.

Der Speichel sammelt sich mir in meinem Mund. Ich beginne zu lallen und zu lachen. Der Arzt gibt auch den Armen Ratschläge. Seine Brille hat er nicht gestohlen. Darum ist er glaubwürdig. Mir glaubt niemand mehr. Nicht einmal du. Dein Freund, der Lehrer und Arzt trägt ein Halstuch. Es ist gelb und paßt zu deinem Ledermantel, den er dir geschenkt hat. Du siehst jetzt aus wie ein Soldat. Dein Freund, der Lehrer und Arzt ist sehr gut. Er ist wirk­lich ein guter Mensch. Er geht jetzt nicht mehr in die Schule und auch nicht mehr in das Krankenhaus.

Du putzt ihm die Stiefel. Das mag er gern. Du liest seiner Tochter Geschichten vor. Der Fisch ertrinkt. Halte mich nicht mehr fest. Laß los. Ich bin nicht dein Freund, der Arzt und Lehrer. Ich bin ein Irrer. Und arm obendrein. Meine Schüler gehen durch das Labyrinth. Sie kennen mich nicht. Es sind sieben Tage bis zur nächsten Absonderung. Meine Patienten kenne ich nicht. Lauf rasch und laß dich nicht erwischen.

Alle Ärzte und Lehrer pfeifen nach dir. Bleib bei dem einen, der beides ist. Nimm seinen Fisch und koche ihn gar. Ich liebe jetzt die Kerzen. Sie sind nicht so grell wie der Strom. Gesagt ist gesagt. Geh zum Brunnen, wenn das Wasser knapp wird. Versenke deinen Ei­mer darin und wasche dich ordentlich. Er mag das, dein Freund, der Arzt und Lehrer. Ziel genau, wenn du in den Ledermantel schlüpfst. Die Arme nach oben und das Ding drüber­gestülpt. Hör zu, wenn dein Freund zu dir spricht. Lobe ihn immer. Das mag er. Er wird malen wollen irgendwann. Verbiete es ihm nicht. Er wird ein guter Maler werden.

Die Türen sind jetzt verschlossen. Ich erwarte niemanden. Die Katze ist tot und das Feuer erloschen. Die Grenzsoldaten schießen nicht mehr. Zerschlag die Tassen an der Wand, wenn er dich einmal schlagen sollte. Dein Freund, der Arzt und Lehrer. Stopf ihm seine Pfeife und nimm ihm den Ausweis weg. Er spielt gern Verstecken. Zeig ihm immer dein rechtes Auge und stelle ihn dorthin, wo er gut aussieht. Erschrick nicht, wenn er verstummt. Fordere ihn nie zum Reden auf. Ich habe jetzt warm und fühle mich gesund. Die Hände zittern nicht mehr. Das ist gut. Rede nie mit ihm über mich. Mit deinem Freund, dem Arzt und Lehrer. Erzähle ihm Lügen, das mag er. Male mit ihm Bilder, wenn er sich langweilt. Male viele Bilder mit ihm. Das mag er. Er weiß oft nicht, was er sonst tun soll. Das macht nichts. Es darf ihm nur nicht langweilig werden. Erzähle ihm von Pessoa, dem portugiesi­schen Dichter. Verschweige, daß er ein kleiner Angestellter war. Halte Ordnung. Das ist wichtig. Ärzte und Lehrer mögen keine Unordnung. Manchmal rauche ich noch. Heimlich in meiner Kammer. Immer seltener. Leider. Die Wutausbrüche sind auch weniger geworden. Nichts stachelt mich mehr so auf wie früher. Es ist alles nicht mehr so schlimm. Ich kenne sie jetzt, die Ärzte und Lehrer. Sie marschieren manchmal an meinem Zimmer vorbei, wenn das Licht noch brennt in der Nacht. Alle Abende sind gefüllt mit guten Dingen. Ich habe zu tun. Ich Arzt und Lehrer.

ICH DU ER

Ich bezahlte dafür. Wer den Richter in die Irre führt, muß mit dem Schlimmsten rechnen. Heute bezahle ich immer noch. Nicht mehr viel. Fünfzehn Kilo. Die Parteien haben sich geeinigt. Die Sitzung wurde erst einmal vertagt. So kann man sich einigen. Das Photo des Vorsitzenden zeigt eine Gestalt der Macht. Wenn man es genauer betrachtet, hält die Bild­unterschrift das, was das Kennzeichen verspricht. Diese Gestalt ist eine Größe. Man kann es sofort sehen. Ich lese das Photo und studiere die Bildunterschrift. Es ist eine Beschimp­fung gewesen. Allerlei. Die Frau des Vorsitzenden ist alt geworden. Er selbst wird jünger von Tag zu Tag. Die Frau hat zu lange auf ihren Mann warten müssen. Das hat sie schlecht verkraftet. Sie hat Puppen gebastelt in der Zeit. Ihr Mann hat derweil Recht gesprochen. Bis zum Erbrechen. Heute vermißt das Paar die Polizisten vor dem Haus. Es ist kein Schutz mehr notwendig. Statt dessen verbeugen sie sich vor dem Exanarchisten, der ihre Tochter entjungfert hat. Er nimmt das mit Genugtuung entgegen. Schließlich riskierte er dafür sein Leben einst. Aber auch er riskiert heute nichts mehr. Die Begegnung hat etwas Weinerli­ches. Man schämt sich gegenseitig an und verkneift die Wahrheit, wenn es in dieser Bezie­hung je eine gegeben hat. Der Exanarchist verzichtet auf das Angebot, das Haus des Vor­sitzenden und seiner Frau zu beschützen. Statt dessen schielt er auf den Orden des Vorsitzenden. Der Orden ist ein Mantel, der kein Mantel ist. Ein Umhang. Das Bild des Vorsitzenden soll umgehängt werden. Am Hals baumelt kein Strick mehr. Lucky Luck hat ihn durchschnitten. Jeden Tag muß der Exanarchist an dem Büro des Vorsitzenden vorbei­gehen. Das schwächt seine Kräfte. Immer über die große Kreuzung, an der es nach Abga­sen stinkt. Immer die Luft anhalten. Und immer dieser rote Kopf dabei. Das Ich ist jetzt zu einem Er geworden. Das Du verkneift man sich tunlichst. Der Exanarchist hat keinen Hund, den er spazierenführen kann. Auch will er selbst nicht bellen, wenn er das Büro des Vorsitzenden passiert. Früher hat er noch gebellt ab und zu. Er ist kein Puppenspieler. Er hält den Faden seines verlorenen Knopfes in der Hand. Das Wandeln im Gewand. Man muß das Gewinnlos zerreißen. Und überall ist Hörnerblasen und Hallali. Die kleine Puppe schämt sich in der Nacht. Ihre Strümpfe werden vom Wind verweht. Ein Seidenpflaster für die Wunden eines langen Wunsches, der niemals in Erfüllung gehen wird. So muß man aufstöbern. Alles das, was einst im Verborgenen lag. Alle Karten sind abgegriffen und un­lesbar. Das Schicksal fordert ein neues Spiel. Man hat es schwer als Ersatzmann für eine Spielerfrau. Man schüttelt sich kurz die Hände, und legt ein Bekenntnis der gegenseitigen Sympathie ab, die schmeckt wie ein trockenes Brot. Wehe dir, Gottvater. Eine Absolution ist kein Tauschgeschäft. Man muß doch immer wieder die Schuhe polieren. Des Segens we­gen. Wenn die Zeit reif ist, wird jeder auf seiner Insel sitzen und Die Signale von sich ge­ben, deren Empfänger taub und blind sind. Man ist das Glied einer Kette. Einer Kette mit Lutschbonbons dran, die man zerbeißt, um das Gebiß zu heilen. Wollen wir würfeln um Die Gunst der Damen? Mir wird schlecht. Ich muß mich übergeben.

DER VERFÜHRER

Lauerstellung. Ich entwinde mich. Das Gefühl von Leere. An Armut nicht reich genug. Gut gelacht, Herr Verleger. Das Buch in der Hand. Dem Konkurrenten die Zähne gezeigt. Das Entgegenblecken.

Dampfschiff. Rolle ich über den See und vertilge das Fischfutter. Mutter, mein Foto ver­bleicht. Liebe. Liebe. Liebe. Haß. Verändert hat sich nichts. Der Blick ist gewandert. Von einem zum anderen.

Kopflosigkeit vor dem Sprung vornüber. Tapetenkratzen. Ein Unternehmen gegründet. Den sozialen Anspruch vom Reißwolf vertilgen lassen. Wird nicht gedruckt.

Untierzucht in gläsernen Schubladen. Gewimmel von Gewürm. Frühtau. Hobelbank. Setz dich hin und flick. Bleib dabei. Strichmädchen mit rotem Korb. Geht durch das Tor. Brunnen­vernunft. Fall in die Tiefe. Ganz gewiß. Ganz gewiß. Doppelter Trinkspruch macht den klaren Kopf.

Dreigestirn. Muskatnuß. Libido im Freizeitanzug. Reizgas im Treppenhaus. Mauerflucht. Gallertartiges Geglibbere. Gleißende Flut. Mach mich zum Horizont deiner Begierde. Alles wird sieben sein. Wenn neun. Und neun. Die Prozentfälscher im Gleichtakt ihrer Rechen­maschinen. Dreiunddreißig. Wir schmeißen alles über Bord. Wir kommen aus dem unteren Drittel. Wir werden neunundneunzig. Platz für die Kraft? Freude kommt von selbst.

Verwandelt die Anstalten. Macht das Gefängnis zum Kunstwerk. Macht der Gefängnisse. Raus!

Überbleibsel im roten Gewand. Muß raus, der Dreck. Es mieft schon kräftig. Alles entsor­gen. Pedal gedrückt. Deckel auf. Und ins Rausrein. Habe Achtung. Achtung. Achtung vor den Verfolgten. Doppelt so schnell wie das Kampfflugzeug. Bewegt.

Tonnen von Blei. Aus Kugeln gesprengt. Meister, komm mit. Folge dem Gesellen. Ich füge es ein…

Meine Angst paßt ihnen nicht. Sie wollen im Dreck wühlen. Er hat sie schon längst erstickt. Raus damit. Einen Unwurf zur Geltung bringen. Kaminroter Rauch steigt auf. Das Szenario der Schwadenflut. Die Fenster schließen. Keine Gefahr für die Bevölkerung. Den Flieger nehmen. Weg von hier. In den Urwald oder die Tropen.

Flucht. Alles wird blau. Es ist nichts geschehen. Der Anzug sitzt. Kein Kostümverleih. Die Sellerie geht über. So laßt es doch. Produziert Doktoren. Produziert mehr Doktoren. Ich bin kein Doktor. Aber jeder ist ein Doktor. Ich laß es doch. Laßt mich doch lassen. Laßt mich doch leben lassen. Gesundheitsvorsorge. Pistolenschüsse. Kinderzeichnungen. Die Flut schwillt über den Damm. Brecher. Parkas. Es ist ein Glück. Keine Uniform zu haben. Habt Dank, Euer Ehren. Friede den Richtern auf Erden. Auf daß sie ihren Weibern gefallen.

Das Knacken in der Leitung. Ich bin kein Spieler mehr.

Menschenverstand. Alles ist gesund. Und die Farben verschönern den Tod. Die Ratenzah­lung des Zechprellers. Moni, halt dich fest. Ton über Ton. Übertönen. Ich gefalle ihm. Er weiß nicht viel davon. Die Nachbarsfrau war verwirrt. Woher kommen die Bomben? Woher? Tauschbörse des Radikalismus. Blut am Boden. Glut auf Raten. Blasen, daß Dampf wird. Verrauchvergiftung. Vergewaltigung. Verständnisbemühen. Verzeihung. Verloben.

Gebot. Geheim. Gesuch.

Laßt brennen die Feuer zum Mahnen. Den Rauch auch. Immer wieder abgewaschen Schuld und Sünde. Alle Zeugen bald fort. Nimmerverständnis. Schon wieder dreiund­dreißig. Seid nimmer artig, Entartete. Regime. Das Regiment. Bin auch Bauer. Möchte nicht überhört werden.

Was sagen sie? Im Flüsterton der Schreibkraft. Beseeltes Volk sollst stärker werden. Hab doch nur Mitleid mit dir. Kann nicht ertragen, wie du dich langweilst. Will einen Hut für dich schaffen. Alles wird versteckt werden. Vernichtet. Konsum, sei lieb und treu der Nation. Dem Staat. Babel mußt sein. Du Land der Geschlachteten. Schwein mußt totschießen du. Laß Leberwurst sprechen.

Den Bolzen am Kopf. Im Kopf. Im Kopf allen Bolzen. Den ganzen. Keine Liebe mehr. Kein Rot. Glänzt die Seele, scheint der Ruhm.

Marktschreier im Völkertheater. Meinungsgebildet. Mach nur alles zur Hure, du Staat. Kann alles verstehen. Bin Krösus und werde alles verstehen. Alles. Macht euch schöner. Laßt bunt alles sein. Lichter werden brennen. Alles wird lichterloh brennen. Küßt euch und zer­fetzt eure Hände. Haltet nur wieder große Reden. Es ist eine Sehnsucht. Geb euch ein Land, das groß und weit ist. Dichterland. Alles gehört mir. Alles wird euch gehören. Schal­len soll überall. Mauern einreißen. Größere Mauern bauen. Liebesmauern. Alles wird frei sein. Alles wird feil sein. Keiner wird mehr feig sein. Grüß euch Gott miteinander. Ich liebe mein Land. Laßt verpesten euch nicht durch braunes Licht.

Die Kummerfalten verstecken. Wir sind stark. Alle zusammen wieder stark. Es ist wieder dreiunddreißig. Schon vier nach neunundzwanzig.

FANATISMUS

Ich dachte: „Die Genauigkeit. Einer Sache, vielmehr eines Zustandes. Des Zustandes einer Sache. Im Verhältnis zur anderen Sache ist der Zustand der einen Sache ein aufs Äußerste genauer. So rückt man die Dinge zueinander und voneinander weg. Aus Genaueste gegen­seitig in ihr Verhältnis zueinander. Auf das es paßt. Genau. Alles muß passen. Alles muß stimmen. Das Ding in seinem Verhältnis zum anderen Ding muß genau sein. So genau, wie es nur geht. Warte nur, Ding. Ich rücke dich zurecht. Deine Pflicht ist es, genau zu sein. Du hast zu funktionieren im Verhältnis zu den anderen Dingen. Ich messe die Genauigkeit dei­nes Funktionierens mit meinem Augenmaß. Es wird unterstützt durch meine Hände. Ich rücke dich zurecht, Ding. So, daß du genau stehst, liegst oder sitzest. Ich mag es nicht, wenn du genau stehst, liegst oder sitzest. Ich hasse das. Ich liebe vielmehr die Genauigkeit, das Exakte. Am liebsten ist mir eine allergrößte Genauigkeit, die ich mit meinen Augen und Händen zufrieden betrachten und begreifen kann. Erst wenn das so ist, wird es mir wohl. Jedes Ding muß an seinem Platz stehen, liegen oder sitzen. Ich bin ein Genauigkeits­fanatiker, dem nichts genau genug sein kann. Wenn etwas nicht genau ist, werde ich wahnsinnig. Ich bin enttäuscht, verbittert und erbost, ja, geradezu wahnsinnig, wenn etwas nicht genau ist. Die pure Verzweiflung stellt sich ein bei der kleinsten Ungenauigkeit. Ein Abgrund von Furcht tut sich auf, wenn etwas ungenau ist. Ich versinke in dem abgrund­tiefen Furchtloch, werde zornig, wütend, ja sogar einsam bei einer Ungenauigkeit der Dinge. Ich beginne mich zu schämen, wenn etwas ungenau ist. Es geht mir gegen den Strich, es geht mir auf die Nerven, diese Ungenauigkeit. Ein ungenau gesetztes, gestelltes oder gelegtes Ding verliert sofort an Wert. Es verliert an Würde. Es verliert seine Existenz­berechtigung überhaupt. Nichts ist etwas wert, wenn es ungenau steht, liegt oder sitzt. Es wird vollkommen wertlos. Absolut gar nichts mehr wert. Die Ungenauigkeit eines Dinges ist sein Untergang. Es geht unter zwischen den anderen Dingen. Es wird bedeutungslos. Es verliert all seine Geltung, wird wertlos wird zu Dreck. Alles, was der Ordnung zuwiderläuft, wird ein Unding. Jedes Ding wird ohne Ordnung zum Unding. Es wird unmöglich vor sich selbst, vor den anderen Dingen. Vollkommen unmöglich. Fanatisch möchte ich meinen Ordnungssinn nennen. Er gibt mir Mut. Er gibt mir Kraft. Ja, er gibt mir einen Sinn. Der sinnie­rende Ordnungssinn ist der ganze und einzige Sinn meines Lebens. Ich bin ein Ordnungs­sinnleber. Ich lebe den Ordnungssinn. Ich gehe in ihm auf. Ich kenne nur noch den Ordnungssinn und will nichts anderes kennen lernen. Korrektheit ist alles, was mich interessiert. Alles, was mir Freude macht. Alles korrekt und ordentlich. Selbstredend korrekt. Gefallen finden an der Ordnung, an der absoluten Korrektheit. Von ihr besessen sein, von ihr ergriffen werden. Nichts anderes denken als in der Ordnung. Es ergibt sich ein Ordnungs­system. Ein Raster für die Ordnung, in dem alles genau ist. Die genaue Ord­nung. Das Raster der genauen Ordnung. Ordnung, Raster, Genauigkeit. Genauigkeits­ordnungsraster. Rasterordnungsgenauigkeit. Alles in einem Alles geordnet, gerastert, ge­nau. Daraus entsteht ein Fanatismus, den man einfach haben muß, um genau zu sein. Ein Genauigkeitsfanatismus der zum wahren Menschen führt.“

Ja bin ich denn vollkommen wahnsinnig.

SOSSE

Von Ruhm und Ehre bekleckert. Ruhmesbekleckert. Ehrbekleckert. Vollkommen voller Ruhmes- und Ehrensoße. Befleckt von Ruhm und Ehre. Alles ist schon klebrig vor lauter Ruhm und Ehre. Man ist bespritzt, man ist vollkommen durchnäßt von Ruhm und Ehre. Man sieht nichts mehr, die Augen sind zugekleistert von Ruhm und Ehre. Ruhm und Ehre sind zu einer Soße geworden, die alles verschmiert. Die Soße ist dick und zäh, sie beschmiert einen wie ein Dreck. Die Ruhmes- und Ehrensoße ist eine Katastrophe. Diese Katastrophe ist nur dazu da, einen immer mehr zu beschmieren. Sie entstellt das Gesicht. Sie macht aus dem Gesicht eine Soßenschüssel, in die Immer mehr von der Soße hineinfließt. Die Soße kann nicht ablaufen und es kommt immer mehr Ruhmes- und Ehrensoße dazu. Die Suppen­schüssel Gesicht muß aber irgendwann überlaufen. Man kann nicht mehr richtig atmen. Die Augen verkleben. Die Nase und die Ohren verkleben ebenfalls. Es ist niemand mehr da, der diese Soße ablöffelt. Die Ruhmes- und Ehrensoße kann nicht mehr abgelöffelt werden. Sie wird zur Gefahr, zur Ruhmes- und Ehrengefahr. Diese Männer mit ihren Ruh­mes- und Ehrensoßengesichtern werden vollkommen taub und blind. All ihre sinne sind verklebt von den Soßen ihres Ruhmes und ihrer Ehre. Sie beginnen damit, die Soße, die sie verklebt hat zu fressen. Sie ernähren sich von ihrer Ruhmes- und Ehrensoße. Die Soße wird zu ihrer Nahrung. Sie können ohne die Ruhmes- und Ehrensoße nicht mehr leben. Ihr ganzer Körper verlangt nach dieser Soße. Sie werden süchtig nach der Soße. Sie werden zu Ruhmes- und Ehrsüchtigen. Alles in ihnen verlangt danach. Alles in ihnen ist süchtig. Sie können nichts mehr hören, riechen, sehen ohne Ruhm und Ehre. Sie werden vollkommen entsinnt ohne ihren Ruhm und ihre Ehre. Sie haben nur noch den Wunsch nach einer grö­ßeren, nach einer stärkeren Bekleckerung. Sie sind bekleckerungssüchtig. Nach Ruhm und Ehre bekleckerungssüchtig. Alles in ihnen wird Schmutz. Alles wird Dreck. Es ist ein Schmutz, es ist ein Dreck, der sauber macht. Es ist ein vollkommen perverser Saubermacher­dreck. Es ist kein Dreck, der ihre bedeutungslose Sauberkeit überdeckt. Er macht sie noch sauberer. Sie sind ohne Ruhm und Ehre sauber. Und damit dreckig. Sie ertragen die Ruhmes- und Ehrensauberkeit nicht. Sie Sind Sauberkeitsfanatiker, ohne die Sauberkeit ertragen zu können. Sie werden immer dreckiger und fühlen sich dabei immer sauberer. Ihr Dreck macht sie sauber, obwohl sie dreckig werden. Sie werden völlig ver­dreckt und wiegen sich dabei in einer vollkommenen Sauberkeit. Es ist eine pervertierte, eine verkehrte Sauberkeit, die vor Dreck nur noch so strotzt und starrt. Eine verdreckte Sauberkeit. Eine Scheinsauberkeit. Der Schmutz und Dreck von Ruhm und Ehre ist ein gefährlicher Dreck, der Sauberkeit vermuten läßt, weil man ihn nicht sieht. Dabei verstopft er alles, macht alles zu und dicht. Er ist perfide und gemein, weil man je dreckiger desto sauberer wird. Es ist ein Irrsinnsdreck. Man sieht den Dreck nicht und scheinbar sieht man mit dem Dreck besser. Doch irgendwann riecht und sieht man überhaupt nichts mehr. Der perverse Dreck von Ruhm und Ehre, der sauber macht, hat einem die Sinne gestohlen. Ein Dreck, der weißelt. Ein völlig perverser Dreck. Das perverseste an diesem Dreck ist, daß er normal macht. Er macht sauber, also normal. Ein perverser Ruhmes- und Ehrendreck, der sauber macht. Ein Saubermacher- Ruhmes- und Ehrendreck.

NORMALITÄT

Du mußt jetzt unter die Leute gehen, denkst du. Einfach rausgehen aus der Wohnung. Un­ter die Leute. Du kannst nicht den ganzen Tag in deiner Wohnung verbringen. Das ist nicht normal. Du mußt normal sein, also unter die Leute gehen. Du gehst in ein Café, willst nur ein wenig unter Leuten sein. Du betrittst das Café, und schon beim Hineingehen hast du ein schlechtes Gefühl. Im Grunde genommen willst du gar nicht unter die Leute, aber du mußt es, wegen der Normalität. Also gibst du dir einen Ruck. Du würdest gerne wieder umdrehen und nach Hause gehen, aber Du zwingst dich dazu, das Café zu betreten. Schließlich kannst du nicht mitten auf der Straße umkehren. Das wäre nicht normal. Du müßtest dann so tun, als ob du zu Hause etwas vergessen hättest, und bestimmt würde man dir anmerken, daß das nicht stimmt. Voller Widerwillen betrittst du also das Café. Wegen der Normalität. Vielleicht ergibt sich ja ein Gespräch mit jemand. Vielleicht ist auch jemand anderes da, dem es ebenso wie dir geht. Vielleicht sind sogar alle anderen auch wegen der Normalität da. Jeder wegen seiner eigenen Normalität. Vielleicht denken auch andere, daß sie unter die Leute müssen, wegen ihrer Normalität. Bestimmt denkt der eine oder andere so. Du hoffst, daß der eine oder andere auch so denkt wie du. Du beginnst, an die Normalität zu glauben. Vielmehr hoffst du auf deine eigene Normalität und die der anderen. Du könntest auch nur einen Spaziergang machen, aber du denkst, daß Leute wichtig sind für die Normalität. Schließlich kann man nicht den ganzen Tag alleine sein, denkst du. Wo soll das denn enden, wenn man den ganzen Tag alleine ist. Wenn man nicht unter die Leute kommt. Man muß unter die Leute, man muß doch mit jemandem reden, denkst du. Das ständige Alleinsein macht einen doch verrückt. Man verliert den Kontakt zur Außenwelt, man verliert seine Normalität, denkst du. Du betrittst also das Café mit der Absicht, unter die Leute zu gehen, um vielleicht mit jemandem ein paar Worte zu reden. Du denkst an die Normalität, und daran, daß all die Leute in dem Café auch ihren Grund haben, warum sie dort sind. Du überwindest deine Angst. Deine Angst vor der Normalität. Du denkst nur noch daran, normal zu sein. Du fürchtest dich nicht mehr davor, jemanden zu treffen, den du gar nicht sehen willst, und mit dem du auch nicht reden willst. Es ist soweit, daß dir jeder recht ist, den du siehst. Du würdest auch mit jedem ein paar Worte wechseln. Alles nur wegen der Normalität. Nur ein paar Worte, vielleicht sogar nur die Bestellung bei der Serviererin. Du denkst beim Eintreten darüber nach, was du bestellen sollst. Im Grunde ist es dir egal, es muß nur etwas normales sein. Am besten einen Kaffee, das fällt nicht auf, das ist normal. Viele trinken Kaffee, sie sehen alle ganz normal aus. Du fragst dich, ob auch du normal aussiehst. Du überprüfst den Inhalt deiner Taschen. Die Zigaretten hast du dabei. Sie helfen dir beim Normalsein. Du überlegst dir, ob die Eingangstüre gedrückt oder gezogen wird. Du machst das meistens falsch, und fragst dich, ob das normal ist. Du möchtest nur normal sein. Es ist dein einziger Wunsch, normal zu sein und nicht aufzufallen. Du möchtest abtauchen in einer Gruppe von Leuten, die normal sind. Du setzt dich auf einen Stuhl, das ist bestimmt normal. Du siehst jemanden an der Bar stehen, und denkst darüber nach, ob er normal ist. Du spielst mit dem Gedanken, eine Zeitung zu nehmen, aber keiner in dem Café liest Zeitung im Moment. Du verzichtest darauf wegen der Normalität. Die Serviererin kommt auf dich zu, und du beginnst, deine Nervosität zu fühlen. Du hast vergessen, was du bestellen wolltest, und bist für einen Moment völlig leer im Kopf. Schnell besinnst du dich auf die Normalität. Du schaust zum Nebentisch und siehst dort ein Glas stehen. Der Inhalt ist braun. Du assoziierst sofort Cola. Das ist auch normal. Du bestellst eine Cola. Die Servie­rerin entfernt sich wieder und dir fällt ein, daß du eigentlich Kaffee trinken wolltest. Du wirst jetzt wieder unsicher, wo du doch im Grunde nur normal sein willst. Du denkst daran, daß auch Unsicherheit normal sein kann, und legst deine Zigaretten auf den Tisch. Das ist bestimmt normal. Gleich darauf siehst du, daß dein Nachbar die Zigaretten in der Hemdtasche hat. Du fragst dich, ob der normaler ist als du. Jetzt entsteht das Problem, ob du die Zigarette vor dem Eintreffen der Bestellung rauchst, oder erst hinterher. Du weißt nicht genau, wie es richtig ist und wirst erneut verunsichert. Am Nebentisch wird auch schon geraucht, aber die trinken schon etwas, also beschließt du, zu warten. Du schaust dich ein wenig um in dem Café. Es sind nicht viele Leute da. Aber alle sehen ganz normal aus. Das macht dich zufrieden. Die Serviererin bringt dir deine Cola. Du bedankst dich, das ist bestimmt normal, und du bezahlst gleich, weil du vergessen hast, warum du eigentlich hier bist. Das ist gut so, denn das ist normal. Dein Wunsch nach Normalität ist so groß, das du bis zur totalen Unauffälligkeit alles tust, was du tust. Jetzt kannst du eine Zigarette anstecken. Sie schmeckt mit der Cola fürchterlich. Ob das normal ist, fragst du dich. Du suchst den Blick der Serviererin. Du lächelst sie an. Sie reagiert nicht. Wahrscheinlich denkt sie, du seist nicht normal. Auch das ist vermutlich normal. Eigentlich wolltest du unter die Leute gehen. Nun bist du unter Leuten, und fühlst dich dennoch nicht normal. Du hattest das Bedürfnis nach etwas Unterhaltung. Immerhin hast du die vier Worte -eine Cola bitte, danke- gesagt. Also ist doch alles gutgegangen. Du stehst auf, ziehst deine Jacke an, und verläßt das Café. Du gehst nach Hause und bist stolz darauf, wieder einmal normal gewesen zu sein.

UND ALLES NUR

Und. Und alles. Und alles nur. Und alles nur wegen. Und alles nur wegen einem. Und alles nur wegen einem Satz. Satz. Satz. Satz. Einem Fragesatz. Einer Frage. Einer Frage? Einer Frage! – Wollt ihr den totalen Krieg?—

VOM KUNST-KÜNSTLER

Eine Kunst ist eine Kunst und keine Kunst ist es, keine Kunst zu sein. Der Künstler lebt von seiner Kunst. Er lebt mit seiner Kunst. Er lebt in seiner Kunst. Er ist ein Künstler, weil er Kunst macht. Der Künstler ist ein Kunstmacher. Er schafft Kunst. Er ist Kunst. Der Künstler ist die Kunst in der Kunst. In seiner Kunst ist der Künstler ein Kunstwerk. Er macht nicht nur Kunst, er ist Kunst. Der Künstler ist die Kunst. Er ist seine Kunst. Und er ist die Kunst der anderen Künstler. Ein Künstler ohne Kunst ist kein Künstler mehr. Er hat seine Kunst verlo­ren. Er wird zum Nichtkünstler. Er wird zum Antikünstler. Hat er vorher nur noch Kunst pro­duziert, so wird er ohne seine Kunstproduktion ein Nichts. Er kann alles tun, was keine Kunst ist, und dabei wird er ein Nichts. Ein Künstler, der ein Nichts ist, ist ein Antikünstler. Er ist ein Niemand. Ein Künstler, der ein Niemand ist, ist kein Kunstwerk mehr. Er wird zum Antikunstwerk. Er demontiert sich selber. So wird aus dem Künstler ein demontiertes Kunstwerk. Der Künstler, der ein demontiertes Kunstwerk ist, geht zugrunde. Er geht an seiner eigenen Nichtkunst zugrunde. Er zerbricht an seiner Nichtkunst. Die Nichtkunst ist keine Kunst mehr. Der Künstler ist kein Künstler mehr. Alles, was vorher Kunst war, wird zur Nichtkunst. Zur Antikunst. Ein demontierter Künstler in seiner demontierten Kunst. Ein Kunsttod. Ein Künstlertod. Aus dieser toten, aus dieser vollkommen demontierten Kunst entsteht das Kunstwerk. Das neue Werk der Kunst. Aus demontierter Kunst entsteht das Kunstwerk. Ein neues Werk aus einer demontierten Kunst. An diesem neuen Werk wird der demontierte Künstler zum Werkkünstler. Er wird zum Werkenden seiner neuen Kunst. Er hat sein Kunstwerk und sich selber demontiert und schafft damit neue Kunst. Er geht aus sich heraus, aus dem Dasein des Kunstschaffenden, sein Werk demontierend, um damit ein neues Werk zu schaffen. Ein aus der Demontage entstehendes Kunstwerk. Ein Kunst­werk aus dem Zerstörten, aus dem Nichts. Aus dem Nichts vorangegangener Kunst. Die Zerstörung der Kunst schafft eine neue Kunst. Die Zerstörung der eigenen Kunst ist Voraus­setzung für das Entstehen neuer Kunst. Ohne die Zerstörung der alten Kunst kann keine neue Kunst entstehen. Aus der Zerstörung des Alten entsteht das Neue. Zerstörte, alte Kunst wird zu neuer Kunst. Die Destruktion der eigenen Kunst fördert die Kreativität. Die Kunst selbst ist immer eine Zerstörung, eine Destruktion. Der Künstler ist ein Zerstörer in seinem Erschaffen. Er zerstört alles und schafft alles. Kunst ist destruktiv, weil sie kon­struktiv ist.
Sie zerstört, weil sie schafft. Sie schafft, weil sie zerstört. Kunst ist Abfall. Abfall ist Kunst. Alles Kaputte ist Kunst und die Kunst macht alles kaputt. Das Bild zerstört die Landschaft, die Musik zerstört den Klang, die Schrift zerstört die Sprache. Aus dieser Zer­störung entsteht ein neues Bild, eine neue Musik, eine neue Schrift. Daraus entstehen neue Landschaften, neue Klänge, neue Sprachen. Die Kunst ist das Alles und das Nichts. Der Künstler kann alles. Und er kann nichts. Er ist ein Alleskönner und ein Nichtskönner. Er macht aus allem das Nichts. Und aus dem Nichts ein Alles. Er macht aus der Landschaft ein Bild und aus dem Bild eine neue Landschaft. Er macht aus dem Klang die Musik und aus der Musik den Klang. Er macht aus der Sprache die Schrift und aus der Schrift die Sprache. Er produziert aus dem Nichts in das Nichts ein Etwas. Aus dem Etwas ein Etwas in das Nichts. Alles nichts ist für den Künstler etwas und alles Etwas ist für den Künstler nichts. Der Künstler ist ein alles oder nichts – Mensch. Sein Dasein ist ein Pendeln zwischen dem Alles und dem Nichts. Wenn er alles kann, kann er zugleich nichts und umgekehrt. Sein Maßstab für das Können ist, daß er nichts kann. Nur wenn er nichts kann, kann er etwas. Sobald er etwas kann, kann er nichts mehr. Sein Drang, etwas zu können, ent­springt dem Willen, nichts zu können. Im Grunde ist der Künstler der Mensch, der nichts können will, aber alles kann. Er will aber nicht alles können, sondern nichts. Das ist sein Motiv. Das Alles und Nichts können wollen. Die Natur mit ihren Bildern und Klängen kann alles. Sie ist in ihrer Unberührtheit das einzig perfekte Kunstwerk. Der Künstler ist lediglich ein Dieb, der die Natur bestiehlt. Er macht sich zu eigen, was nicht ihm gehört. Er wandelt es um, bildet es ab. All das tut er mit Hilfe eines Instrumentes. Er gebraucht einen Pinsel oder ein anderes Werkzeug, mit dessen Hilfe er die Natur umwandelt. Er konkretisiert die Natur. Jede Form der Natur ist in ihrer Erscheinung zunächst abstrakt. Der Künstler ist dazu da, diese Abstraktion zu konkretisieren. Er bestiehlt die Natur, wandelt das gestohlene Gut um, und gibt es anschließend der Natur zurück. Als Kunst. Der Künstler ist ein Umwandler. Ein Umgestalter. Alles, was er tut, ist ein ständiges Umwandeln und Umgestalten. Kunst ist Umwandlung. Kunst ist Umgestaltung. Kunst ist ein Phänomen. Der Künstler selbst ist ein Phänomen. Kunst ist Erkenntnis. Der Künstler ist ein Erkennender. Kunst sieht alles. Und der Künstler sieht alles. Er Kann blind oder taub sein. So sieht oder hört er doch alles. Nur ein Allesseher oder ein Alleshörer kann Künstler sein. Dabei kann er nichts sehen oder nichts hören. Darin liegt die Kunst des Künstlers. Des Kunst-Künstlers.

GOSSEK

Gossek geht über den Platz. Er weiß, daß man über ihn spricht. Man spricht viel über Gossek. Gossek ist bereits ein Mann des öffentlichen Interesses. Wenn Gossek einem begeg­net, senkt er zumeist sein Haupt. Warum Gossek demütig ist, weiß man nicht. Er trägt eine Glatze. Vielleicht deswegen. Denn Gossek ist eitel. Das sieht man an seiner Klei­dung. Er ist stets bemüht, das Teuerste zu tragen. Doch dazu später.

Gossek lebt allein. Im Grunde genommen haßt er Gesellschaft, doch sein Beruf bringt es mit sich, daß er die meiste Zeit unter Leuten ist. Zu Hause jedoch duldet er niemanden. Gossek lebt vom Hunger und Durst der Menschen. Das ist sein Geschäft.

Neulich war ein Foto von ihm in der Zeitung. Er trug eine Sonnenbrille. Auf das Foto war er stolz. Er würde gern öfter fotografiert, doch dazu ist er noch nicht bedeutend genug. Gossek steht erst am Anfang. Doch die Zahl derer, die ihn kennen, wächst. Die Stadt, in der Gossek lebt, ist nicht besonders groß. Das ist sein Vorteil. So wird er schneller bekannt. Und Bekanntheit ist neben Reichtum Gosseks Hauptinteresse.

Wie schon gesagt, lebt Gossek vom Hunger und Durst der Menschen. Die Frauen, die für ihn arbeiten, sind arm. Das nützt Gossek aus. Sie müssen nicht reich sein, aber schön. Das mag Gossek. Genaugenommen ist es ihm eigentlich gleichgültig, aber es ist besser fürs Geschäft. Er verspricht seinen Frauen, daß sie irgendwann ein eigenes Häuschen haben werden. Das spornt sie an. So arbeiten sie fleißiger. Wenn man Gossek außerhalb seines Geschäftes trifft, redet er kein Wort. Er hat es schon immer gehaßt, zu reden. Warum, das weiß man nicht . Darüber spricht Gossek nicht. Die Kinder sagen für ihn das, was er zu sa­gen hat. Das genügt ihm. Bei der Arbeit jedoch muß Gossek ab und an etwas reden. Es sind meist Befehle. Gossek befiehlt gern.

Gossek steht jeden Morgen um acht Uhr auf. Zuallererst rasiert er sich gründlich. Das hat er von seinem Vater gelernt. Dieser hat sich auch immer rasiert, und Traditionen sind für Gossek wichtig. Sein Vater ist gestorben, als Gossek noch ein Kind war. Das Rasieren ist alles, an was er sich erinnern kann. Das genügt ihm auch. Anschließend wäscht Gossek sich die Füße. Sie sind sein ganzer Stolz. Er behandelt sie sehr sorgfältig. Jede Woche am Montagmorgen schneidet er um acht Uhr fünfzehn die Nägel nach. Gossek muß viel laufen bei seinem Geschäft. Meist auf der Stelle, doch das stört ihn nicht. Wenn er mit seinem Waschritual fertig ist, kleidet er sich an. Wie schon erwähnt, geht er auch dabei mit äußer­ster Sorgfalt vor. Die Kleider hat er am Abend vorher über den Stuhl gelegt. Socken, Unter­hose und Unterhemd trägt er jeden Tag frisch. Die Wäsche besorgt seine Lieblings­angestellte. Einmal im Monat schläft er dafür mit ihr. Zum Frühstück nimmt Gossek ein fünf Minuten Ei, eine Scheibe Weißbrot, etwas Butter und dazu ein Glas Orangensaft. Gossek hält sein Gewicht seit Jahren. Darauf ist er stolz.
Danach geht Gossek aus dem Haus. Um Neun Uhr kann man ihn jeden Morgen über den kleinen Platz gehen sehen. Er steuert zielbewußt auf einen Automaten zu, der ihm gegen eine Mark sein Tageshoroskop ausspuckt. Nach dieser Weisung richtet Gossek dann sei­nen Tag aus. Man möchte meinen, daß er sich dem Zufall überläßt, aber Gossek kennt den Astrologen, und weiß schon am Abend zuvor, was der Inhalt des Horoskops ist. Gossek tut das nur, damit man denkt, er sei abergläubisch. Das ist gut fürs Geschäft.

Am Sonntag, wenn der Automat außer Betrieb ist, geht Gossek zu Gott. Es muß noch ge­sagt werden, daß Gossek der einzige in der kleinen Stadt ist, der noch Münzen für den Horoskopau­tomaten besitzt. Schon viele Leute wollten dort Rat suchen. Doch Gossek hat ein Monopol. – Wenn Gossek, dann also bei Gott ist, fragt er ihn, was über die Woche zu tun ist. Gott vertraut Gossek wirklich. Sonst vertraut er keinem. Doch zu dieser Prozedur später.

Wenn Gossek also von dem Automaten wieder zurück in sein Haus geht, muß er jeden Morgen seine Meinung ändern. Das kümmert Gossek nicht, weil es sich im Lauf der Jahre herausgestellt hat, daß auch dies gut fürs Geschäft ist. Sollte Gossek doch einmal in die Verlegenheit kommen, nicht mehr weiter zu wissen, das geschieht dann, wenn der Wahr­sager im Urlaub ist, dann fragt Gossek seine Lieblingsfrau um Rat. Dafür schläft er dann einmal extra pro Monat mit ihr. Gossek liebt niemanden. Und niemand liebt Gossek. Das macht ihm nichts aus. Liebe ist ihm zu teuer.

Wenn Gossek zurück in seinem Haus ist, muß er als erstes Telefonieren. Er ruft immer Gott an, weil er doch ein wenig unsicher über das ist, was er tut. Außerdem liebt Gossek die Stimme Gottes. Sie ist so warm. Er weiß auch, daß Gott nur am Sonntag für ihn Zeit hat, aber dennoch wählt er die Nummer. Jeden Tag ist Gottes Anrufbeantworter eingeschaltet, auf dem Gossek hört, daß Gott keine Zeit für ihn hat. Wenn Gossek diese Worte vernom­men hat, legt er beruhigt wieder auf. Er kann nun damit beginnen, sein Tagesgeschäft zu verrichten.

Wie bereits gesagt, lebt Gossek vom Hunger und Durst anderer Menschen. In seinem Haus hat Gossek eine große Schaltwand. Um zehn Uhr drückt er den ersten großen Hebel nach unten. Es sind viele Hebel. Doch Gossek kennt sie alle genau. Der Wichtigste ist der erste. Wenn Gossek ihn gedrückt hat, bekommen alle Menschen in der kleinen Stadt Hunger und Durst. Sie wissen schon, daß sie jetzt zu Gossek müssen. Die meisten gehen gerne hin. Besonders die Männer, wo in Gosseks Geschäft doch so schöne Frauen arbeiten. Dieje­nigen, die nicht zu Gossek wollen, werden sonntags von Gott dazu aufgefordert. So gehen sie trotzdem, wenn auch mit einigem Widerwillen.

Im Grunde vertraut man Gossek. Schließlich hat er das Monopol auf die Horoskopmünzen, und er ist der einzige, der über eine Schaltwand verfügt.

Wenn der erste Kunde bei Gossek eingetroffen ist, um seinen Hunger oder Durst zu stillen, legt Gossek den zweiten Hebel um. Dann beim Eintreffen des zweiten Kunden den dritten und so weiter. Kunde für Kunde. Hebel für Hebel. So verfährt er den ganzen Tag. Den Rest der Arbeit ignoriert Gossek. Das ist Sache seiner Frauen. Sie kochen Essen, zapfen Bier und reden mit den Kunden. Gossek aber ist so verliebt in seine Hebelwand, daß er nichts lieber tut. Er besitzt Hebel für jede Hautfarbe, für jedes Alter, für jede Größe. Je nach Laune läßt er den einen oder anderen Hebel aus oder nicht. Wenn Gossek einmal guter Dinge ist, geht er aus seiner Hebelkammer hinaus in den Geschäftsraum und erzählt ein paar Hebelgeschichten, die sich seine Kunden dann immer gerne anhören. Es sind leider die letzten Geschichten, die in Gossekland noch erzählt werden.

Während die Kunden von Gossek essen und trinken, ißt und trinkt er selbst meist nichts. Das ist schlecht fürs Geschäft. Sollte er doch Hunger oder Durst verspüren, geht er zu sei­nem Konkurrenten, Dossek. Mit ihm plaudert er dann ein wenig über die Geschäfte. Die zwei verstehen sich gut, obwohl Dossek über keine Schaltwand verfügt. Es stört ihn nicht; Gossek bezahlt ihn dafür mit einer Frau.

Gosseks Hauptnahrung jedoch sind die Gedanken daran, wie er sein Gossekland noch vergrößern könnte. Gossek weiß, daß das langsam geht,, da sagt Gott ihm jeden Sonntag. Doch Gott sagt ihm auch, daß die Zeit kommen wird, in der Gossekland das größte auf Er­den sein wird. So lange muß Gossek sich gedulden. Gossek glaubt an Gott, und ist gedul­dig. Abends, wenn die Menschen von Gossekland wieder zu Hause sind, legt Gossek die Hebel an der Schaltwand wieder zurück, und ist zufrieden. Sein Land ist wieder ein Stück größer geworden. Dann und wann gewinnt Gossek auch noch eine neue Frau hinzu, die seinem Geschäft nützlich ist. Das freut ihn dann besonders.

Wenn sein Geschäft geschlossen ist, geht Gossek seiner Freizeit nach. Das ständige He­beln den ganzen Tag strengt ihn doch sehr an, so daß er nach der Arbeit erschöpft ist. Er muß sich nun entspannen. Das kann Gossek am besten, indem er Papier zerschneidet. Es muß noch gesagt werden, daß Gossek Papier haßt. Insbesondere dann, wenn es bedruckt ist. Er zerschneidet es und legt die Schnipsel in eine große Schachtel. Diese Schachtel bringt Gossek jeden Sonntag zu Gott. Sie ist Gosseks Opfer. Gott freut sich darüber, und segnet Gossek dafür. Dies ist der einzige Moment der Woche, in dem Gossek wirklich glücklich ist. Er lobt den Herren nun in den allerhöchsten Tönen, und verspricht, auch in Zukunft fleißig und sorgsam seiner Arbeit nachzugehen. Manchmal sagt Gott zu ihm, er solle nicht so viel Papier zerschneiden, aber Gossek schafft es meist nur wenige Tage, dieser Anordnung folge zu leisten. Dann überkommt es ihn wieder, und er muß zur Schere greifen.

Gott hat Gossek schon den Vorschlag gemacht, einen Psychiater aufzusuchen, doch Gosssek haßt Psychiater. Er ist der Meinung, daß das alles Hokuspokus ist, ja manchmal spricht er vor seiner Lieblingsfrau sogar von Humbuk. Diese lacht dann immer aus ganzem Herzen, weil sie Kinderreime so gerne hat.

Neulich habe ich Gossek wieder einmal getroffen. Es war in einer Unterführung in der Nähe des Bahnhofes. Dort stand er einsam und verlassen an einer Mauer und weinte. Ich sprach ihn an, und fragte nach dem Grunde seines Traurigseins. Er jammerte über die schlechten Zeiten, daß niemand mehr in sein Geschäft kam, und darüber, daß seine Lieblingsfrau ihn verlassen hätte. Ich hatte Mitleid mit ihm, und lud ihn zu einer Tasse Tee ins Bahnhofsrestaurant ein. Wir plauderten über dies und jenes, und ich erzählte ihm, daß ich Stammgast in seinem Lokal gewesen sei, er mich aber nie zur Kenntnis genommen hätte. Als Gosssek erneut anfing zu weinen, machte ich ihm einen Vorschlag. Ein Freund von mir, der Besitzer eines Zeitungskiosk ist, war meines Wissens auf der Suche nach einer tüchtigen Hilfskraft für den Verkauf. Ich fragte Gossek, ob er Interesse an dem Job hätte, und er sprach davon, daß er schon länger mit dem Gedanken spielen würde, sich eine neue Existenz aufzubauen. Ich gab ihm die Telefonnummer meines Freundes, und verabschiedete mich, da ich noch einiges zu erledigen hatte.

Neulich kam ich durch Zufall wieder einmal an dem Kiosk meines Freundes vorbei, und sah Gossek, wie er dort die Zeitungen ordnete. Als er mich sah, strahlte er übers ganze Gessicht, und rief mir über die Straße zu: Ich bin jetzt glücklich, denn ich muß kein Papier mehr zerschneiden. Und Gott ist es auch, er hat bei meinem Besuch letzten Sonntag sogar einen Witz gemacht. Ich lächelte vor mich hin und dachte: Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder.

VERÄNDERUNG

Es verändert sich nichts, wenn man denkt, es verändert sich etwas. Nichts verändert sich dann. Man sehnt die Veränderung herbei. Man wünscht sich nichts so sehr wie die Verän­derung. Dabei verändert sich rein gar nichts. Man glaubt aber an die Veränderung. Im Grunde genommen glaubt man an nichts anderes mehr als an die Veränderung. Die Zu­stände drehen einem den Strick und es verändert sich nichts. Nicht einmal die Zustände verändern sich. Man ist allein und kann nichts gegen die Zustände tun. Man ist nicht fähig, eine Veränderung herbeizuführen. Man tritt auf der Stelle. Immer in dem gleichen Takt tritt man auf der Stelle. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Es ver­ändert sich nichts. Man lebt sein Leben und versinkt in seinem Trott. Es verändert sich nichts. Man bemerkt, daß um einen herum alles anders wird. Es werden Regierungen ge­wechselt. Es werden Straßen und Häuser gebaut. Menschen werden geboren und sterben. Dabei verändert sich rein gar nichts. Man selbst und die Anderen bleiben so, wie es schon immer war. Man trinkt keinen Alkohol mehr. Es verändert sich nichts. Man nimmt keine Dro­gen. Es verändert sich nichts. Man zieht in eine neue Wohnung. Es verändert sich nichts. Man wird älter. Es verändert sich nichts. Mancher will sich verändern. Dabei verändert er nichts. Man tritt auf der Stelle, und nichts verändert sich. Man schneidet sich die Haare. Nichts verändert sich. Man wechselt die Kleidung. Nichts verändert sich. Man stellt die Er­nährung um. Nichts verändert sich. Man lernt neue Leute kennen. Es verändert sich nichts. Man wechselt den Beruf. Nichts verändert sich. Man denkt über sich nach. Dabei verändert sich schon gar nichts. Alles, was man tut, um sich zu verändern, führt zu keiner Verände­rung. Die Veränderung ist ein Zustand. Die Veränderung ist die Veränderung. Man verän­dert seinen Wortschatz. Man will alles verändern. Dabei verändert sich nichts. Überhaupt nichts verändert sich. Man schaut in den Spiegel, und stellt fest, daß man dicker geworden ist. Dabei hat sich nichts verändert. Man schaut alte Fotos an zum Vergleich, und stellt fest, daß sich nichts verändert hat. Man fragt sich, ob die Zukunft eine Veränderung bringen wird. Man kann davon ausgehen, daß sich nichts verändern wird. Alles bleibt so, wie es ist. Es wird keine Veränderung geben.

REICH-RANICKI-MARSCH

Ja der Mann, ja der Mann, ja der Thomas Mann,
Ja der Mann, ja der Mann, ja der Thomas Mann,
Ja der Thomas Mann, ja der Thomas Mann,
Ja der Thomas Mann Mann Mann.

Die heutigen Autoren können gar nichts mehr,
Die heutigen Autoren, also bittesehr,
Die heutigen Autoren schreiben nur noch Schrott,
Ich, Marcel, bin der Kritikgott.

Wenn ich das lese, wird mir schlecht,
Herr Karasek, ich hab doch Recht,
Man kann doch so etwas nicht schreiben,
Die Kirche muß im Buchdorf bleiben.

Frau Löffler, na, was sagen sie?
Ich kriegte noch die Buchphobie,
Wenn ich all den gedruckten Mist
Von vorn bis hinten lesen müßt.

Der Anfang dieses Werks ist dumm,
Den Mittelteil – nehmt ’s mir nicht krumm –
Hab‘ ich dann einfach weggelassen,
Zum Schluß, ich konnte es nicht fassen,

Was diese Flasche hat geschrieben,
Ich sag nur üben, üben, üben.
Für die hohe Kunst der Schrift
Ist dieser Autor pures Gift.

Das nächste Werk ist noch viel mieser,
Ein Schwachsinnsliterat wie dieser,
Sollt‘, statt die Feder zu benutzen,
Viel besser Nachbars Auto putzen.

Und dann den letzten noch, am Rande,
Was der geschrieben ist ’ne Schande,
Das ist doch wirklich kein Roman,
Ich hab es satt, es kotzt mich an.

Der Thomas Mann war ein Genie,
Der Junge da, der lernt es nie,
Im Grunde hasse ich das Lesen,
Das wär’s für heute dann gewesen.

Ja der Mann, ja der Mann, ja der Thomas Mann,
Ja der Mann, ja der Mann, ja der Thomas Mann,
Ja der Thomas Mann, ja der Thomas Mann,
Ja der Thomas Mann Mann Mann.

HERR SCHLAU

Die Zähne zusammenbeißen. Nicht zu viel reden. Immer geradeaus gehen. Sich niemals zu klein machen. Niemals zu groß sein. Sich immer zusammenreißen. Ein Indianer kennt schließlich keinen Schmerz. Ein Mann ist ein Mann und heult nicht. Ein Mann muß stark sein. Immer dem anderen zeigen, wer man ist. Immer ein paar Worte reden, damit die an­deren wissen, wer man ist. Sich nie zu weit herauslehnen aus dem Fenster. Sich keine Blöße geben. Immer am richtigen Platz stehen. Und immer zum richtigen Zeitpunkt am rich­tigen Ort sein. Nie zu viel geben. Immer erwachsen sein. Sich nie zum Kind machen lassen. Aufpassen, wo man langgeht. Immer einen kleinen Schluck nehmen, wenn man ihn ange­boten bekommt. Andere nie zu lange beobachten, sonst fällt es auf. Nie ein unüberlegtes Wort sprechen. Immer auf der Hut sein. Sich niemals setzen, wenn der Vorgesetzte steht. Das ist ein Gesetz. Kräftig lachen bei seinen Witzen. Alles das muß gewiß sein. Sonst geht alles schief.

So spricht der Herr. Der Herr Schlau.

HERR COOL

Ich bin fertig. Selbstverständlich bin ich fertig. Ich bin immer fertig. Zu was genau ich fertig bin, weiß ich nicht. Aber ich bin fertig. Ich bin immer auf dem Punkt. Ich bin immer auf der Höhe. Ich bin immer auf dem Höhepunkt. Ich bin der Höhepunkt. Ich bin cool. Ich bin lässig. Ich streife mit der Hand durchs Haar. Das macht mich cool. Das macht mich lässig. Ein ums andere mal streiche ich mir durchs Haar. Ich bewege mich gut. Ich bewege mich cool. Ich bewege mich lässig. Meine Figur ist gut. Ich bin muskulös, aber schlank. Meine Kleidung sitzt immer richtig. Ich bin der Höhepunkt. Ich kann es mit den Frauen. Ich könnte sie alle haben. Ich bin immer bereit. Ich kann alles. Ich weiß alles. Ich bin der Größte. Ich lächle immer. Das ist wichtig, das Lächeln. Es gefällt den Frauen, wenn man lächelt. Ach, ich könnte sie alle haben. Wenn ich nur wollte. Ich bräuchte nur mit dem Finger zu schnippen. Ich weiß, daß sie mir verfallen sind. Mir geht es immer gut. Ich bin immer im Mittelpunkt. Ich tanze gern. Ich liebe das Tanzen. Ich schwinge meine Hüften. Ich bin immer der Sieger. Ich bin reich. Meine Kleider sind die feinsten. Ich fahre einen Sportwagen. Ich bin ein sportli­cher Typ. Ich liebe den Sport. Meine Leidenschaft ist das Spiel. Ich spiele mit allem. Am liebsten spiele ich mit Menschen. Es ist so schön, wenn man der Sieger ist. Ich habe noch nie verloren. Ich könnte sie alle haben. Ich hasse Menschen, denen es schlecht geht. Das Leben ist doch schön. Es kann einem alles geben, wenn man nur danach verlangt. Ich fliege durch die Welt. Ich kenne viele Länder. Ich liebe die Sonne und das Meer. Ich liebe sie mehr als die Frauen. Die kann man sowieso alle haben, wenn man will. Das Meer for­dert einen heraus. Es ist eine Naturgewalt. Ich kämpfe gern gegen die Natur. Sie ist der richtige Gegner für mich. Ich hasse alle Anstrengung. Warum soll man es sich schwer ma­chen, wenn es leicht geht. Ich habe einen guten Posten. Ich verdiene gutes Geld. Ich lebe wie die Made im Speck. Ich liebe die Musik. Ach, Musik ist so etwas Schönes. Sie macht
mich so leicht. Ich hasse die Schwermut. Bei Musik könnte ich fliegen. So leicht ist mir dann. Ach, ist das Leben schön. Ich liebe Amerika. Diese Weite in dem Land. Ich könnte die Nummer eins sein. Ich könnte die ganze Welt umarmen. Wenn doch nur alle so wären wie ich. Ach, ach, ach.

So spricht der Herr. Der Herr Cool.

ROSEMARIE

Sie war schon über siebzig.

Am Ende war sie schwer krank.

Sie war meine Lehrerin.

Rosemarie war streng.

Eine Preußin vom alten Schlag.

Wie oft mußte ich in der Ecke stehen.

Wie oft hat sie mir die Leviten gelesen.

Doch sie hat auch gelobt.

Wie stolz hat sie mich manchmal gemacht.

Und was habe ich nicht alles gelernt von ihr.

Sie liebte ihre Kinder.

Ich habe sie geliebt.

Noch Jahre später habe ich sie besucht.

Sie ist gestorben letztes Jahr.

Auf Wiedersehen, Rosemarie.

SANGESFRUST

Am Brunnen vor dem Tore,

Da stand mein Liebchen hold –

Der Wolf kam mir zuvore,

Gab Liebchen all sein Gold.

Ich rannte schnell zum Brunnen,

Doch Liebchen war schon fort –

Ich hätt‘ ein Lied gesungen,

Genau an diesem Ort.

Doch wie so oft im Leben,

Kam ich zu spät, zu spät –

So geht es einem eben,

Wenn man gern singen tät.

IM HIRN

Es ist ein lautes Denken im Hirn. Es wird immer lauter, das Denken. Alles um das Denken wird lauter. Es schallt im Kopf. Phon um Phon. Das Millionengehirn denkt laut. Ein über­hörtes Laut. Alles im Kopf ist laut. Es macht den Schmerz. Den unspürbaren Schmerz. Alles macht den Schmerz im Kopf. Die Synapsen schallen. Alles schallt. Transmitter übermitteln Lautstärke. Eine Zession. Ein Schnitt. Ein Einschnitt. Alles Laute wird immer lauter. Die Hirnlappen sind laut. Es geht eine Geschichte im Hirn umher. Sie ist laut. Sie wird von Zelle zu Zelle geschickt. Lauter Zellen. Alles Laute. Lautlose Laute. Unüberhörbare Stille. Lauter­keit im Gehirn. Alles wird gewaschen. Das ganze Gehirn mit seinen Zellen wird gewaschen. Lautlos. Unüberhörbar lautlos. Unüberhörbare, lautlose Gehirnwäsche. Hirnlappen. Hirn­waschlappen. Hypophyse. Hypothalamus. Neopallium. Komplett lautloses Neopallium. Reflex­zentren. Zerebralwäsche. Rückkopplung. Die Wäsche wird rückgekoppelt. Wasch­lappen voller Transmitterdreck. Motorische Projektionsfelder. Alles motorisiert. Elektrischer Schlag in millionenfachem Ausmaß. Impulsgebung. Medulläres Atemzentrum. Mensch Junge, mach vorwärts. Motorische Felder. Reflexzonen ohne Handlungsspielraum. Schalt­stationen. Laß dich nicht so hängen. Kopf hoch, es wird schon weiter gehen. Irgendwie. Verstopfung. Totale Gehirnverstopfung. Ohne jegliche Lautstärke. Zentrallokalisation. Mo­torik. Mensch, beeil dich, Mann. Husten und assoziieren. Das Gangliensystem. Geisel­gangster. Apraxie. Agnosie. Nichts mehr spüren von der Gehirnwäsche. Ganz lautlos sein. Extrapyramidale Sensibilität. Nichts mehr wahrnehmen. Keinen Laut mehr. Alles fallen las­sen. Alles vergessen. Gehirnpolitur. Synaptischer Hochglanz. Millionensterben. Nur noch sauber sein im Gehirn. Laß den Kopf nicht hängen!

MAHLZEIT

Die Suppe bestellt. Zum Brot gegriffen. Zeitung lesen jetzt unwichtig. Mache keine Beratungs­geschäfte. Esse den Käse. Die Suppe wärmt bei Minusgraden. Eisblumen am Küchenfenster. Ebbe im Geldbeutel.

Ach, hallo ihr beiden. Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit noch. Wo geht die Reise hin? Ach, nach Asien. Vier Wochen? Nein, ich war noch nie dort.

Tomatensuppe mit Reis. Ja, das Beste zu dieser Jahreszeit.

Ihr habt gut sitzen in eurem Nest. Nein, das habe ich nicht gesagt.

In die Großstadt?

Ja, da gibt es Tonnen auf den Straßen, wo man sich wärmt.

New York? Nein, ich war noch nie dort. Ja, alles ein Dorf hier. Geht’s gut, Manuela? Haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen. Ja, ich war auch fort. Weit fort.

Wo? Das erzähle ich dir ein andermal. Saukalt hier, was?

Sagt kein Wort, der Mensch. Komisch.

Der Karl war auch hier, letztens. Geht ihm glaube ich ganz gut soweit.

Was er macht? Och, der Karl war noch nie dumm. Der schlägt sich schon durch.

Computer? Ach ja, ich hab jetzt auch einen. Geht ja nicht mehr ohne. Und sonst? Ja, was soll man schon machen in dieser trostlosen Zeit. Hab jetzt wenigstens ein warmes Büro. Nein, ich bin nicht im Beratungsgeschäft.

Leben? Ja, leben kann ich schon noch. Der Anton ist Vater geworden. Du weißt doch, An­ton, der Freund von Anne. Einen Buben haben sie. Wirklich süß, der Kleine. Ach ja, Anne und Anton.

Eine Freundin? Ja, eine Freundin hab ich auch. Kathrin? Ja, die hat mich schwer ent­täuscht. Das hat lange gedauert. Nein, wir telefonieren auch nicht mehr. Wozu denn? Ja, Inge heißt sie. Grüße sagen? Ja, das mach ich. Also dann, tschüs ihr beiden.

Zahlen bitte.

GLIEDER IM BAUCH

Die Flucht. Langer Atem. Die Ketten abgesägt. Die Ketten des Irrsinns. In Einzelzeile zer­legt. Jedes Glied geschluckt. Den ganzen Bauch voller Kettenteile. Voller Kettenglieder. Herr Doktor, mir ist so schwer im Magen.

Beim Öffnen der Lastwagentüre noch den Klang des Karussells im Ohr. Kreisende Pferde im Kopf. Unaufhörlich kreisend mit ihrem roten Schweif. Getanzt zur Autobahnhaltestelle. Zu Hause den Friseurstuhl umgeschmissen. Alles Schminke verbraucht. Nur hin zum Jahr­markt, gedacht.

Alles fallengelassen. Jetzt nichts wie los. Ich komme schon durch. Setze alles auf das Magen­brot. Für fünfzig die Fahrt. Naturalienhandel. Der war schon mal rasiert, das sehe ich. Lastwagen voller Südseeträume. Kann heute nicht. Verlorene Zeit. Muß dich küssen jetzt. Brennende Gefahr.

Alles ein Magenbrot. Süße, braune Klumpen. Habe alles riskiert. Keine Zeit zu verlieren. Die Glieder im Bauch. Die süßen braunen Klumpen. Tanze mit den Schneewehen. Jedes Glied im Bauch. Braun, süß und klumpig. Tanze mit den Gliedern. Bin zu allem bereit. Fünfzig braune Klumpen. Die Kette in meiner Schachtel. Die Glieder im Bauch.

Häng dem Pferd das Halfter um. Fliehe dem Zirkus voraus. Gejubel. Alle sind glücklich. Auch du. Mit fünfzig Gliedern im Bauch. Zwei Tage Flucht. Sag auf Wiedersehen und Danke­schön.

Schneewehen und Südseetraum.

LAUF EIN STÜCK

Lauf ein Stück.

Umwenden.

Lauf ein Stück.

Gehe niemandes Weg.

Gehe niemandes Gang.

Lauf ein Stück.

Schließe die Augen.

Verschließe die Ohren.

Lauf ein Stück.

Ohne jede Unterhaltung.

Mach Platz allen, die dir entgegenkommen.

Lauf ein Stück.

Mach viele kleine Stücke daraus.

Mach die Augen wieder auf.

Höre wieder.

Lauf ein Stück.

DAS ZIMMERMÄDCHEN

Der Mann ist bei der Arbeit. Er sieht fern. Der Fernseher steht in der Gärtnerei. Die Blumen sind erfroren. Die letzte Rose steckt in einem Kerzenleuchter.

Der Vater des Zimmermädchens ist streng. Er haßt die Gärtner. Er mag keine dreckige Ar­beit. Das ganze Gewächshaus steht voller Fernseher. Der Gärtner installiert die Antennen. Das Marionettentheater ist im Regal verstaut. Der Teufelskopf steckt mit der Rose zusam­men im Kerzenleuchter.

Der Vater des Zimmermädchens, das jetzt ganz langsam zum Zimmermädchen wird, hat die Schuhe seiner Tochter gestohlen. Er will sie zum Schuhmacher bringen. Der Vater des Zimmermädchens kennt einen Schuhmacher.

Der Gärtner hat nun alle Fernseher im Gewächshaus installiert. Der Empfang der Pro­gramme ist noch instabil. Das wird sich bessern mit der Zeit. Der Vater des Zimmermäd­chens tauscht die alten Schuhe seiner Tochter gegen ein Paar Ballettschuhe. Er wollte schon immer, das seine Tochter Tänzerin wird. Aber die Tochter haßt das Tanzen. So stellt das Zimmermädchen die Ballettschuhe in das Regal zu dem Marionettentheater. Der Vater ist darüber nicht böse.

Die installierten Fernseher des Gärtners im Gewächshaus treiben erste Blüte. Den Abfall der letzten Blumen aus dem Gewächshaus brennt der Gärtner zu Rosenschnaps.

Der Vater des Zimmermädchens ist mit einem Wachtmeister befreundet. Das Zimmer­mädchen wird jetzt immer mehr zum Zimmermädchen. Der Vater und der Wachtmeister beobachten Vögel. Da keine Vögel mehr im Lande sind, trinken sie den Rosenschnaps des Gärtners. Dabei sehen sie fern. Jeder auf einem Apparat für sich. Das Gewächshaus füllt sich mit vielen Vätern von Zimmermädchen und deren befreundeten Wachtmeistern. Der Gärtner wird dabei endlich nüchtern, während die Bewohner des Gewächshauses seinen Schnaps trinken. Geredet wird in dem Gewächshaus nichts, außer über das Fernsehen.

Der Gärtner freut sich darüber, daß das Zimmermädchen doch noch zu einem Zimmer­mädchen geworden ist. Die Geschichte ist zu Ende, wenn der Gärtner und das Zimmer­mädchen geheiratet haben, der Vater und der Wachtmeister betrunken in der Gefängnis­zelle sitzen und fernsehen, und der Teufel wieder im Marionettentheater mitspielt.

GEH, ALBERT

Vorausschau. Die Vorausschau in die Vergangenheit. Eine zähe Vorwärtsbewegung hält ihren Atem an. Ein verstaubtes Bücherregal. So fällt alles einmal. Alles fällt. Alles zerfällt. Alles zerfällt in ein Regal hinein.

Die Rosa wienert auf den Knien. Sie betet vor dem Altar der Sauberkeit. Es ist eine Besen­frömmigkeit.

Die Kleingärtnerseele zollt Tribut. Es ist keine Forderung mehr.

Die Summe der Taxilöhne genügt für einen Garagenplatz.

Die Nachbarin übt Tennisposen vor dem Spiegel. Ihr Mann ist ein Erfinder. Er hat das Welt­patent. Er hat das Weltpatent der Tennisposen seiner Frau.

Der Mann holt Holz. Er geht in den Wald. Mit einer wilhelminischen Korrektheit zerkleinert er das Holz.

Schneewitchen friert sich an der Heizung die Backen rot.

Heute bis zwanzigtausend. Auf ein langes Spiel. Die Karten sind gemischt. Es kann losge­hen. Du gibst und ich nehme mir den Trumpf. Alles sticht. Elf ist eins. Und Bild ist zehn.

Albert war immer Zweiter hinter dem Dritten. Aufgepaßt im Kürbisland.

Jahrmarktschreie des Blindenstockes. Alles gefüllt. Alle Töpfe. Alle Tiegel. Alle Tassen. Brennholz für den Samstagnachmittag.

Geh hinaus, Albert. Werde Vierter. Das reicht. Ich spiele dir das Kissen zu, wenn es not­wendig ist. Holz und immer wieder Holz. Denke daran. Und vergiß den Salat nicht.

Das Moritat auf den Akkordeondilettanten. Geh, Albert, geh. Es ist kein Holz mehr da. Und vergiß den Kürbis nicht. Was macht der Dritte? – Der spielt, wie immer. Erzählte Geschich­ten vergessen. Binde den Kranz um die Türe. Heute kommt Karl zurück. Mit Schneewitt­chen. Karl war immer im Wald. Du hast ihn nie gesehen. Das wilhelminische Brennholz. Für den Samstagnachmittag. Wenn Karl zurückkommt. Karl liebt dich. Das weißt du doch.

Alle Töpfe. Alle Tiegel. Alle Tassen. Alles leer.

Lauf, Albert, lauf. Heute kommt Karl zurück. Heute kommt Karl, dein Richter. Karl war im­mer im Wald. Ich sag es dir doch. Nimm den Blindenstock. Gehe in den Garten. Und schlage die Kinder. Brenne das Holz. Es ist doch alles nur für Karl. Nimm deine Tasche mit und werde endlich vierter. Albert, höre auf mich. Nicht zweiter hinter dem Dritten. Es riecht wieder so nach Gas aus der Garage.

Es ist ein Hornbrillenmann. Das schwarze Taxi ist ein Mercedes. Es ist schon ein altes Auto. Die Sitzpolster sind aus Leder. Der Hornbrillenmann wohnt nicht hier. Es ist nur seine Taxiwohnung.

Albert, riechst du es?

Die Kürbisse sind schön. Albert, die Kürbisse. Geh in den Garten, geh in den Wald, aber geh. Ich kann es schon aushalten ohne dich. Die Schüssel mit dem Vanillepudding stelle ich in den Kühlschrank. Wenn du zurückkommst, ist der Pudding kalt. So, wie du es magst, Albert. Und den Speck habe ich auch besorgt. Ich backe auch noch einen Kuchen. Den mit dem Schokoladenguß, du weißt doch, Albert. Wenn nur der Karl schon da wäre. Karl weiß immer, was zu tun ist. Du weißt doch, Karl, unser Sohn.
Geh jetzt, Albert, und schlag die Kinder. Mach ein großes Feuer im Garten. Und nimm die Decke mit.

Bis zwanzigtausend. Und noch viel mehr.

Ich werde Karl sagen, daß du im Wald bist. Oder im Garten. Das ist gleichgültig.

Es riecht wieder so nach Gas aus der Garage.

Morgen kommen die Blinden wieder. Sie kommen immer alle auf einmal. Mit ihren Stöcken. Ich habe Angst, Albert. Weißt du noch, im Krieg? – Das war schlimm. Heute geht es uns doch gut.

Aber vergiß nicht, die Kinder zu schlagen, Albert. Das ist wichtig. Der Taxameter geht uns nichts an.

Die Garage ist bezahlt. Der Mercedes auch.

Albert, freust du dich über den Speck? Ich kann ihn auch anbraten. Das magst du doch, wenn ich ihn anbrate. Im Krieg hatten wir nie Speck. Weißt du noch, Albert wie es war im Krieg? Ich habe immer geglaubt, daß du nie mehr zurückkommen würdest. Und dann die Geburt von Karl. Ich war ganz auf mich alleine gestellt. Niemand hat mir geholfen. Es gab kein Holz zum Heizen. Ja, es war schon schlimm im Krieg. – Soll ich dir ein Ei zum Speck machen, Albert? Wir haben genug Eier. Daran soll es nicht fehlen. Im Krieg gab es keine Eier. Manchmal doch. Vielleicht eines im Monat. Und zum Nachtisch backe ich dir den Ku­chen. Den mit dem Schokoladenguß.

Ach, könnte man doch auch etwas erfinden. Nein, Albert, ich bin nicht unzufrieden. Es ist schon alles recht so wie es ist. Ja, ich weiß, Albert. Du hast viel erfunden im Krieg. Aber was nützt uns das?

Geh jetzt Albert, und schlage die Kinder. Es ist wichtig, die Kinder zu schlagen.

Wenn es nur nicht wieder so nach Gas riechen würde aus der Garage.

Albert, ich habe so Angst vor den Blinden. Sie sind so unheimlich mit ihren weißen Augen. Und wenn sie mit ihren Stöcken auf die Straße klopfen. Es ist wie … ja, es ist wirklich schlimm.

Ja, Albert. Ich habe deine Uniform gebügelt. Sie hängt wieder im Schrank. Nächste Woche bügle ich sie wieder.

Bis vierzigtausend und viel mehr.

Albert, sei nett zu Karl, wenn er heute Abend kommt. Er war so lange fort. Karl darfst du nicht mehr schlagen. Er ist kein Kind mehr jetzt. Karl ist erwachsen geworden. Du weißt doch, Karl hat jetzt eine gute Arbeit. Er paßt auf die Zigeuner auf, die in der Stadt leben. Ich habe immer gewußt, daß aus Karl noch einmal etwas werden wird. Er hat bestimmt viel zu erzählen, wenn er aus dem Wald zurückkommt. Karl unser Sohn.

Albert, willst du nicht wieder einmal dein Akkordeon aus dem Schrank holen? Du hast im­mer so schön gespielt früher. Auch die Nachbarn mochten deine Musik. Vielleicht am Sonn­tag nach der Kirche. Es hat dich doch auch immer so beruhigt. Musik ist gut für das Herz, Albert. Ich bin schon ganz gespannt auf Schneewittchen, Karls Frau. Sie soll sehr hübsch sein. Und sie kommt aus einer guten Familie. Wir sind doch auch eine gute Familie, Albert, nicht wahr? Es ist doch so. Und wir zwei haben doch immer zusammengehalten. Das stimmt doch, Albert? Vielleicht bekommt Schneewittchen schon bald ein Baby. Dann wer­den wir Großeltern. Ich wäre so gerne Großmutter, Albert. Du nicht auch?

Geh jetzt Albert, geh.

DER STOCK

Geh kaputt. Rauche eine Zigarette. Preise deinen Zerfall. Mach die Augen zu am Tage. Doch hüte dich vor der Dunkelheit. Zerfalle langsam. Aber nicht zu langsam. Zerfalle nicht alleine. Preise auch den Zerfall der anderen. Achte auf den Zerfall der anderen. Verfalle ihm nie, dem Zerfall. Achte auf die Umwelt. Wie sie zerfällt. Zerfalle mit. Rauche eine Ziga­rette. Hüte dich vor der Macht. Verfalle ihr nicht. Sie ist dein Zerfall. Rauche eine Zigarette. Für deinen Zerfall. Zerfalle nicht alleine zerfalle mit den anderen. Zerfalle nicht für andere. Aber auch nicht ohne die anderen. Preise niemals den eigenen Zerfall. Verfalle nicht dem Zerfall der anderen. Rauche keine Zigarette. Zerfalle jetzt nicht. Verfall jetzt dem Zerfall der anderen. Geh, nimm den Stock. Nimm deinen eigenen Stock. Schlage dich selber, bevor andere dich schlagen. Nimm den Stock und rauche eine Zigarette. Nimm die Zigarette als Stock. Als deinen eigenen Stock. Schließ dazu die Augen und sieh ins Dunkle. Sieh ins Nichts herein. Das Nichts ist kein Zerfall. Es verfällt die, das Nichts. Es wird zu deinem Stock. Werde blind. Zerfalle bei Zag. Zerfalle Für Sekunden. Zerfalle für Minuten. Zerfalle immer mehr. Das ist dein Stock. Dein eigener Zerfallsstock. Deine Blindheit macht andere stocklos. -Sei blind. Und rauche eine Zigarette. Halte deinen eigenen Stock an der Hand. Verfalle ihm. Deinem Stock. Mache eine Feier aus deiner Blindheit. Freue dich an deinem eigenen Zerfall. Dirigier den Zerfallstakt mit deinem Stock. Dirigiere deine Blindheit. Deinen eigenen Zerfall. Nimm den Stock. Den Zerfallsstock.
DIALOG
A: Guten Tag. Gut, daß sie kommen. Ich denke gerade über ein Problem nach.

B: Guten Tag. Ich wollte…

A: Nehmen wir einmal das Wort „Buchstabe“.

B: Das Wort „Buchstabe“?

A: Ja, das Wort „Buchstabe“. Es ist ein Anfang.

B: Wieso ein Anfang?

A: Alles muß einmal anfangen. Also, das Wort „Buchstabe“. Es ist der Anfang einer Serie von Wörtern. Einer Serie von Wörtern, die sich zu einem Satz fügen.

B: Das Wort „Buchstabe“ soll sich zu einem Satz fügen?

A: Genau. Das Wort „Buchstabe“ soll sich zu einem Satz fügen, so wie ein Fuß sich in den Schuh fügt. Der Schuh ist die Verkleidung des Fußes. Und der Satz ist die Verkleidung des Wortes des Buchstabens.

B: Ich habe keine Zeit für solche Spielereien. Außerdem ist mein Auto kaputt. Und die Miete für den nächsten Monat habe ich auch noch nicht zusammen.

A: Ich verstehe das Problem, aber…

B: Was aber?

A: Aber lohnt es sich nicht auch…

B: Lohnen kann sich nur das, was etwas bringt. Es muß eine, eine…

A: Rendite geben.

B: Genau. Und ein Buchstabe gibt keine Rendite.

A: Da wäre ich mir nicht so sicher. Die Rendite eines Buchstabens könnte das Wort sein. Und die Rendite des Wortes der Satz. Viele Sätze können sich gar zu einer Geschichte rentieren.

B: Eine Geschichte, die sich rentiert?

A: Genau genommen rentieren sich erst die Worte zu der Geschichte. Aber das ist vielleicht zu kompliziert. Erst einmal wollen wir über das Wort „Buchstabe“ reden. Das Wort „Buchstabe ist ein Wort wie jedes andere auch. Es besteht aus einzelnen Buchstaben und …

B: Ja aber die Miete. Ich…

A: Dazu kommen wir später. Das Wort „Buchstabe“ also besteht aus einzelnen Buchstaben. Das wäre an sich nichts besonderes, wenn nicht…

B: Wie ein Auto aus mehreren Teilen besteht.

A: So ähnlich. Wenn also nicht in dem Wort das Wort selbst…

B: So wie die Babutschka, die Puppe in der Puppe.

A: Man könnte es vergleichen. Es ist ein sogenanntes Paradoxon, wie es die Philosophen nennen.

B: Ich liebe Philosophen. Sie sagen immer so kluge Dinge. Neulich…

A: Man muß über dieses Paradoxon nachdenken, weil es sich lohnt, über so etwas nachzudenken.

B: Aha, es muß sich also doch lohnen.

A: Das habe ich nicht bestritten. Von nichts kommt schließlich nichts.

B: Da fällt mir ein, meine Mutter ist krank. Sie hat…

A: Alle Mütter sind krank. Mütter sind immer krank. Sie sind dazu da, krank zu sein. Wer keine kranke Mutter hat ist arm dran heutzutage. Nichts geht mehr ohne kranke Mutter. Wollen sie einen Cognac?

B: Ja bitte.

A: Hier. Wo waren wir stehengeblieben?

B: Bei meiner Mutter. Sie ist nicht eigentlich krank. Sie ist… Ja, wie soll ich sagen? Sie ist…

A: Na, raus damit.

B: Meine Mutter ist wahnsinnig.

A: Wahnsinnig? Der Wahnsinn ist die schlimmste Krankheit überhaupt. Wer eine wahnsinnige Mutter hat, hat ausgesorgt. Eine wahnsinnige Mutter ist Millionen wert. Wenn ich eine wahnsinnige Mutter hätte. Gar nicht dran zu denken, was sich da für Tore öffnen würden. Sehen sie, der Wahnsinn ist immer noch die Sache, aus der sich am meisten Kapital schlagen läßt. Man kann ihn gar nicht hoch genug einschätzen, den Wahnsinn. Natürlich ist es für den Wahnsinnigen selbst schlecht. Er ist arm dran. Aber seine Mitmenschen, für die kann es sich lohnen.

B: Ich verstehe nicht. Sie…

A: Das können sie auch nicht verstehen. Ein Mann in ihrer Position versteht nicht. Er muß glauben. Und glauben sie mir das Eine. Mit ihrer wahnsinnigen Mutter sind sie gut dran. Sie ist ihre Lebensversicherung. Im Grunde genommen ist ihre Mutter vermutlich gar nicht krank. Sie mag Kleider zerschneiden. Sie mag Geld verbrennen. Sie mag verstummt sein. Ja selbst wenn sie die Nahrung verweigert. Alles was sie tut, tut sie, weil sie es tun muß. So sind die Wahnsinnigen. Wir wissen nicht, warum sie es tun. Sie selbst wissen es am wenigsten. Vielleicht treibt sie eine verborgene Macht, die wir nicht kennen. Noch nicht kennen. Denn die Forschung ist weit gediehen auf diesem Gebiet.

B: Ja aber wenn sie sich selbst dabei zerstört. Es kränkt einen doch, wenn die eigene Mutter…

A: Aha, sie sind also gekränkt. Vielleicht sind sie krank. Vielleicht ist ihre Mutter kerngesund. Vielleicht tut sie genau das Richtige. Wenn ich ihnen einen Rat geben darf: Kümmern sie sich mehr um sich selber. Die Menschen neigen immer dazu, zu projizieren. Alles, was sie tun ist eine große Projektion. Keiner will mehr er selbst sein heutzutage. Das ist das große Gebrechen unserer Gesellschaft. Wenn jeder er selbst wäre, wäre der Buchstabe nie zum Wort geworden. Die Menschheit hätte sich einiges erspart damit. Wir leben in einer paradoxen Zeit. Sie sind gekränkt, weil ihre Mutter krank ist. Würden sie ihre eigene Krankheit erkennen, wäre ihrer Mutter mehr als geholfen. Sie wird vermutlich vor ihnen sterben. Lassen sie sie zufrieden. Zum Wohl.

B: Zum Wohl. Ich wollte sie noch fragen wegen dem Geld für das Auto und die Miete. Ich..

A: Ja, da kann ich ihnen leider nicht behilflich sein. Aber sie sollen nicht ganz umsonst gekommen sein. Ich will ihnen zum Schluß noch einen Rat geben. Werden sie auch wahnsinnig. Guten Tag.

B: Danke. Guten Tag.

DAS BUCH

Ich lese das Buch. Zeile für Zeile. Ich verstehe alles. Im Grunde habe ich überhaupt nichts verstanden. Ich lese Zeile für Zeile und verstehe alles und nichts. Die Buchstaben sind doch die selben wie in jedem anderen Buch. Sie sind schwarz das Papier ist weiß. Das Buch handelt von anderen Büchern. Es ist ein Buch über Bücher, wie viele andere Bücher Bücher über Bücher sind. Meine Augen gleiten beim Lesen von links nach rechts. Immer wieder von links nach rechts. Ich wiederhole diese Bewegung Zeile für Zeile. Ob das ge­sund für die Augen ist, weiß ich nicht. Es ist ein Dauergleiten von links nach rechts. Und von oben nach unten. Es muß gesund sein. Schon immer haben die Menschen so gelesen. Und gestorben ist noch keiner daran. Also lese ich das Buch. Zeile für Zeile. Von oben nach unten. Vielleicht verstehe ich auch noch etwas. Irgendwann.